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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Maresciallo wußte, daß der Staatsanwalt Sara Hirschs Leiche gestern zur Beerdigung freigegeben hatte, und für einen verrückten Moment krampfte sich sein Magen zusammen, als ihm der Gedanke in den Kopf kam, daß er den zweiten Teil dieses Autopsieberichts nie gelesen hatte – hatte der Staatsanwalt nicht gesagt, es sei unnötig? Auf jeden Fall… »Bist du noch da?«
    »Ja. Ja, ich bin noch dran.« Der Maresciallo riß sich zusammen. »Es wurde eine Autopsie durchgeführt, ich habe eine Kopie des Berichts bei den Akten. Außerdem müßtest du doch selber sehen…«
    »Ich sehe einen Schulterbruch am linken Arm und vier gebrochene Finger an der linken Hand, das sehe ich.«
    »Am Arm…? Nein, nein, ich glaube nicht… Wenn du willst, kann ich dir vorlesen…«
    »Ich verstehe mich auf mein Geschäft, Guarnaccia, und den Zustand einer Leiche kann ich mit oder ohne Obduktion deuten. Und ich sage dir, der linke Arm ist gebrochen, und außerdem ist da noch eine Verletzung am Hinterkopf. Und bevor du mir erzählst, daß die entstanden sein könnte, als der Körper beim Eintritt des Todes auf dem Boden aufschlug…«
    »Ja, genauso war’s. Ich habe die Leiche gesehen, und ich erinnere mich an die Kopfverletzung…« Der Maresciallo hatte die Akte Hirsch aus dem Stapel gezogen und klemmte sich den Hörer unters Kinn, um den Autopsiebericht herauszufischen. Ein gebrochener Arm? Vielleicht in dem zweiten Gutachten… »Der Angriff war ziemlich brutal, und die Rekonstruktion…« Verdammt! Was war das für ein Wust von Seiten. »Ein mit Gewalt auf den Rücken gedrehter Arm könnte natürlich… Wenn du dich nur eine Minute geduldest…«
    »Solange du willst, aber ich habe das Gefühl, du verwechselst da was. Ich bestreite ja gar nicht, daß er an einem Herzanfall gestorben ist, so wie’s im Totenschein steht. Sogar ich sehe an seinem Gesicht, daß er einen Herzanfall hatte. Ich sage nur, daß ich diesen Mann nicht ohne vorherige Autopsie beerdigen kann, denn, woran er auch gestorben ist, irgendwer hat da ein bißchen nachgeholfen, und wenn du noch eine Akte über den Fall offen hast, dann solltest du vorbeikommen und ihn dir ansehen.«
    So. Jetzt war es passiert.
    11
    I m Garten regnete es. Das nachmittägliche Gewitter war abgeklungen, und der Himmel hatte sich wieder etwas aufgehellt, war aber immer noch in neblige Wolken gehüllt, die leise auf nasse Erde und feuchtes Laub herniederweinten. Der Maresciallo stand hinter den Verandatüren des kleinen Salons, blickte hinaus in den Regen und wartete darauf, daß er aufhören würde. Ein-, zweimal glaubte er schon, es sei soweit, doch wenn er hinaustrat und die überdachte Veranda verließ, mußte er jedesmal feststellen, daß er sich getäuscht hatte. Wenn er hinaufschaute, sah er nichts als dunstige Nebelschleier, aber der feine Sprühregen netzte sein Gesicht und tropfte auf die dunklen Schultern seiner Uniform und machte sie noch dunkler. Der Maresciallo scheute den Regen ebenso wie die Katzen. Ein Mann in Uniform, der sich fast den ganzen Tag im Freien aufhalten muß, hat naturgemäß nichts für Regen übrig. Kein Schirm, keine Möglichkeit, die Jacke auszuziehen und sich, bis sie trocken ist, ein anderes Kleidungsstück auszuborgen. Wenn ein Uniformierter naß wird, bleibt er naß.
    Also wartete der Maresciallo, spähte nach draußen und ging alle paar Minuten wieder vor bis zum Gartenweg, um das Wetter zu prüfen. Er wollte unbedingt zum Seerosenteich. Ein paar Vögel begannen zu singen, aber im Garten regnete es immer noch.
    Der Besuch in der Gerichtsmedizin in der schwülen Vormittagshitze schien Tage zurückzuliegen. Sir Christophers Leiche war tags zuvor dort eingeliefert worden. Sein Hausarzt, mit dem sich der Staatsanwalt in Verbindung gesetzt hatte, blieb stur bei seiner Diagnose.
    »Natürlich bin ich auf die Kontusion am Kopf aufmerksam gemacht worden. Sir Christopher hat eine ganze Reihe geringfügiger Infarkte erlitten und vor ein paar Monaten dann einen wirklich schwerwiegenden, nach dem er rechtsseitig gelähmt und sein Sprachvermögen beeinträchtigt war. Ich empfahl, ihn in eine Klinik zu verlegen, aber die Vorstellung bedrückte ihn, und man konnte ihn schwerlich dazu zwingen. Er hatte einen jungen Mann im Haus, einen Medizinstudenten, der ihn rund um die Uhr betreute. Sir Christopher war die letzte Zeit an den Rollstuhl gefesselt, und die einzig selbständige Bewegungsmöglichkeit, die er noch hatte, war der Wechsel vom Bett in den Rollstuhl, vom

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