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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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ein aufmerksames Ohr zu leihen. Manche von ihnen waren völlig verblüfft über das Interesse, das ihrem verlorenen Paß, dem gestohlenen Moped, dem zerbrochenen Autofenster zuteil wurde.
    »Sie glauben doch nicht, daß da ein Zusammenhang mit einem größeren Verbrechen besteht, oder?«
    »Nein, nein…«
    Mit dem August brach die erste große Reisewelle an. Die Abendnachrichten zeigten kilometerlange Staus vor den Fähren nach Elba, Sardinien, Sizilien. Die Lokalnachrichten meldeten den Tod von Sir Christopher Wrothesly, der einem Schlaganfall erlegen sei.
    »Sir Christopher war, wie berichtet, schon vor einiger Zeit erkrankt.«
    Armer, trauriger Mann. Immerhin, eine Sorge weniger. Falls jetzt tatsächlich ein größerer Überfall auf die Villa verübt würde, hätte Sir Christopher nicht mehr darunter zu leiden.
    In der Stadt stiegen die Temperaturen auf neununddreißig Grad. Am Flughafen, dem heißesten Punkt, wurden sogar einundvierzig Grad gemessen.
    Die Warnungen vor sportlicher Betätigung im Freien während der Mittagsstunden häuften sich. Die Ozonwarnungen, die fast täglich über die Leuchttafeln an den Hauptstraßen geflimmert waren, wurden abgeschaltet, als die Anwohner in Scharen aus der Stadt strömten. Im Norden und Süden des Landes gingen schwere Unwetter nieder, aber in Florenz dauerte die extreme Hitzewelle an, grillte die Touristen, machte sie müde und apathisch, so daß sie immer öfter ihre Kameras oder Handtaschen vergaßen. Im Büro des Maresciallos herrschte täglich Hochbetrieb.
    Endlich aber brach, nachdem es ein paarmal falschen Alarm gegeben hatte, doch das erste Augustgewitter los, tauchte die Stadt mitten am Nachmittag in schwarze Dunkelheit und wusch sie rein. Als gegen Abend die Sonne wieder hervorlugte, trieften die Terrakottaziegel auf den Dächern vor Nässe, weißer und grüner Marmor leuchtete frisch und hell, und die Vergoldungen der Prunkfassaden glänzten im rosigen Abendlicht.
    Wie gewöhnlich war die Küstenregion von den Unwettern verschont geblieben. In den Nachrichten sah man überfüllte Strände, an denen die Sonnenhungrigen wie die Heringe nebeneinanderlagen, beschallt von Radiogedudel, Kindergeschrei und den heiseren Rufen der Getränkeverkäufer. Ein Reporter fragte eine geschmeidige junge Frau, die gut eingeölt und knackig braun zwischen zahllosen anderen Leibern lag: »Nach neuestem Trend werden jetzt Juni oder September als Urlaubsmonate favorisiert – was halten Sie davon?«
    »Das ist ja wohl ein Witz! Im August in der Stadt bleiben? Da würde ich ja eingehen vor Hitze!«
    »Hier ist es aber auch ganz schön heiß.«
    »Wenn’s mir zu heiß wird, springe ich ins Meer.«
    Schwenk aufs Meer mit ebenso dichtgedrängten Leibern wie am Strand.
    Am Morgen nach dieser Sendung, die den Maresciallo und seine Frau dankbar sein ließen dafür, daß sie nicht am Meer waren, klingelte, kaum daß er sich in seinem kühlen Büro an den Schreibtisch gesetzt hatte, das Telefon.
    »Guarnaccia? Bist du’s?«
    »Am Apparat. Wer…?«
    »Ich weiß nicht, ob du dich noch an mich erinnerst. Brogio, Antonio. Wir waren zusammen auf der Unteroffiziersschule.«
    »Ich fürchte…«
    »Macht ja nichts. Ist lange her, und ich war auch nur zehn Jahre in der Armee. Als mein Vater starb, bin ich ausgeschieden. Hab dann sein Bestattungsinstitut übernommen.«
    »Ah! Brogio, ja. Jetzt weiß ich Bescheid. Das müssen jetzt… ich weiß nicht, wie viele Jahre es her ist.«
    »Zu viele, also denk lieber nicht drüber nach. Hör zu, ich will deine Zeit nicht mit Plaudereien über die Vergangenheit vergeuden, mein Anruf ist geschäftlich.«
    »Geschäftlich? Nein, also…«
    »Nein, nein, nein, nein, nein! Nicht was du denkst.« Es war bekannt, daß Bestattungsunternehmer Bestechungsgelder an Polizisten und Unfallstationen zahlten, damit die ihnen Aufträge zuschanzten. »Nein, ich brauche deinen Rat. Es geht um eine etwas merkwürdige Geschichte – also nichts, weswegen man gleich 112 anrufen würde, aber da wir uns kennen, dachte ich, du könntest mir vielleicht sagen, an wen ich mich wenden soll. Die Sache ist die, daß ich hier eine Leiche habe, die ich nicht beerdigen kann.«
    »Wieso denn nicht? Der Staatsanwalt sagte mir…«
    »Ein anderer hätt’s vielleicht getan und sich nichts dabei gedacht, aber nach zehn Jahren als Carabiniere kann mich keiner für dumm verkaufen, wenn du weißt, was ich meine?«
    »Ich… nein.«
    »Die Leiche hätte obduziert werden müssen.«
    Der

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