Nachtblüten
Rollstuhl in den Sessel und so weiter. Für jede komplexere oder potentiell gefährliche Aktion, wie etwa den Gang zur Toilette, war er auf Hilfe angewiesen. Soviel ich weiß, hat er es doch einmal allein versucht, ist dabei gestürzt und hat sich den Kopf aufgeschlagen. Ich habe die Wunde untersucht. Ich stellte eine sehr oberflächliche Hautabschürfung fest, die bei der Bestimmung der Todesursache überhaupt nicht in Betracht kam… Aber ich bitte darum, fragen Sie mich alles, was Sie wollen.«
Doch die Fragen führten zu nichts.
»Nein, den linken Arm und die Hand habe ich nicht untersucht, weil dazu keine Veranlassung bestand.«
»Ich würde sagen, er war seit schätzungsweise zwölf Stunden tot.«
»Sir Christophers Sekretär rief mich kurz vor acht an, und da ich noch zwei dringende Hausbesuche zu machen hatte, traf ich gegen neun Uhr dreißig in L’Uliveto ein.«
»Er lag im Bett. Der junge Mann, der ihn versorgte, fand ihn dort, als er wie gewöhnlich gegen halb acht in sein Zimmer kam.«
»Der Leichnam wirkte friedlich, das Bettzeug war nicht in Unordnung. Der tödliche Schlaganfall dürfte also im Schlaf erfolgt sein.«
»Ich habe keinerlei verdächtige Anzeichen entdeckt.
Andernfalls hätte ich selbstverständlich die zuständigen Behörden informiert. Sir Christopher war seit geraumer Zeit schwer krank, und sein Tod kam durchaus nicht unerwartet.«
»Ich bin sicher, eine Autopsie wird meine Diagnose bestätigen: Todesursache akute Ischämie, wahrscheinlich einhergehend mit einer Hämorrhagie, hervorgerufen durch die Verhärtung der Arterien.«
Und so war es. Der Pathologe hatte Maestrangelo und Guarnaccia über die halb entblößte Leiche hinweg angesehen. Die abgesägte Hirnschale war mit großen schwarzen Stichen wieder angenäht worden.
»Was ist mit der Kopfverletzung?« fragte Maestrangelo.
»Nur äußerlich.«
»Und der Arm? Die Finger?«
»Das fällt in Ihr Ressort. Die Brüche hat er sich nicht durch einen Sturz aus dem Bett zugezogen.«
Eingedenk dessen, was mit Sara Hirsch geschehen war, sagte der Maresciallo: »Er sollte sich ruhig verhalten und jegliche Aufregung meiden, um keinen weiteren Schlaganfall zu riskieren. Als Kind hatte er rheumatisches Fieber. Falls ihn nun jemand angegriffen hätte, ihm den Arm verdreht, gar gebrochen, hätte das…«
»Seinen Blutdruck hochtreiben können, den Herzschlag beschleunigen, Blockade und Platzen der Arterien forcieren? Ist es das, worauf Sie hinauswollen?«
»Ich… ja.«
»Nein.«
»Nein…?«
»Keine Chance. Sehen Sie her.« Der Pathologe hob den kalten, wächsernen Arm. »Was Sie hier auf der Unterseite sehen, das sind Leichenflecken…«
»Moment mal!« Der Capitano schaute erst die roten Sprenkel auf der Haut des Toten an, dann den Pathologen.
»Können Sie bestätigen, daß er auf dem Rücken liegend gestorben ist?«
»Ich kann bestätigen, daß er nach Eintritt des Todes viele Stunden auf dem Rücken gelegen hat, aber die Ausbildung der Leichenflecke braucht Zeit, und wenn die Position des Leichnams rechtzeitig verändert wird und der Prozeß noch nicht zu weit fortgeschritten ist, dann tritt die Schwerkraft in Aktion, und das Blut setzt sich entsprechend. Aber wie dem auch sei, was ich sagen will, ist, daß weder die ausgerenkte Schulter noch die gebrochenen Finger erkennbare Hämatome aufweisen. Dies sind Postmortem- Brüche. Aber warum sollte jemand einem Toten den Arm ausrenken? So was gehört in die Trickkiste der Leichenbestatter.«
»Nein, nein…« Die großen, schwarzen Stiche erinnerten ihn an die Friseuse… er hatte sie nicht mehr gesehen, seit Enkeleda verlegt worden war. »Nein. Der Leichenbestatter hat mich eigens angerufen, um mir diese mysteriösen Knochenbrüche zu melden. Er weigerte sich, den Mann zu beerdigen. Er ist ein ehemaliger Carabiniere, müssen Sie wissen…«
»Dann kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen. Leichenbestatter müssen manchmal zu solch drastischen Maßnahmen greifen, wenn die Extremitäten beim Eintritt des Todes nicht in Ruhestellung sind und die hinzukommende Leichenstarre das Ankleiden des Toten erschwert.«
»Er hat ihn nicht angezogen«, erklärte der Capitano.
»Er hat uns gleich verständigt. Und der Mann ist angeblich in seinem Bett gestorben, höchstwahrscheinlich im Schlaf. Als sein Hausarzt ihn untersuchte, war der Tote entspannt.«
»Ich sag’s ja, Ihr Ressort, eine Aufgabe für die Carabinieri.« Und der Pathologe schob die Bahre ins Kühlfach zurück.
Es
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