Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
wahr?“, er lacht gekünstelt auf. „Ich meine, sie hat gesagt, Sie würden wie tot auf dem Bett liegen, Miss Ashton, und sich nicht rühren. Außerdem hätten Sie keinen Puls gehabt und hätten sich eiskalt angefühlt.“ Er schaudert. „Ich meine, Sie sitzen doch hier vor mir. Wohl und munter, also kann Ihnen gar nichts geschehen sein, oder?“, sein Blick wandert kurz über meine vom Bademantel verhüllte Gestalt.
„ Offensichtlich nicht, Sully“, erwidere ich unterkühlt und wieder lächelt er verlegen, hat sich nun aber besser im Griff. Wahrscheinlich war die Vorstellung, dem Kapitän eine Leiche melden zu müssen, zu viel für ihn. Nun ja, das kann ich nachvollziehen, vor allem weil ich mich dann im Krematorium des Schiffes wiedergefunden hätte, was für sich genommen schon eine unangenehme Situation ist.
„ Nun ja, es ist aber auch kalt hier drinnen. Wahrscheinlich ist das Mädchen deswegen irrtümlicherweise auf diese absurde Idee gekommen. Ich hoffe, Sie entschuldigen das Mädchen und seine wilde Fantasie.“
„ Selbstverständlich.“
Erleichtert blickt er mich an. „Sie wissen ja gar nicht, welchen Gefallen Sie mir damit tun, Miss Ashton.“
Ich lächele schief und entgegne: „Nichts für ungut, Sully. Ich mag es gerne etwas kühler, auch wenn es jetzt tatsächlich sehr abgekühlt ist.“ Dies ist wahrscheinlich die Untertreibung des Jahres. „Ich werde gleich die Heizung aufdrehen und dann zurück unter die Bettdecke schlüpfen oder mir zumindest etwas Wärmeres anziehen.“
Wie zufällig rutschen die Falten des Bademantels zur Seite und legen mein Dekolleté nebst dem Brustansatz frei. Sully bemüht sich nicht hinzusehen, aber letztendlich ist er doch nicht Herr seiner Natur. Ich lächele, denn mir kommt eine Idee. „Würden Sie bitte das Zimmermädchen herschicken, damit sie sich selbst davon überzeugen kann, dass es mir gut geht? Ich möchte ungerne unter dem Personal als Tote gelten.“
Er nickt diensteifrig, tritt einen Schritt zurück auf die Tür zu, dreht sich um und macht sich an den Reglern der Heizung zu schaffen. Augenblicklich kann ich das leise Rauschen von warmem Wasser hören und lächele ihm zu. „Danke, Sully.“
An der Tür stehend, die Hand schon fast an der Klinke, dreht er sich zu mir um. „Ich werde Ihnen das Mädchen gleich schicken und persönlich dafür garantieren, dass man Sie nicht mehr stört, Miss Ashton.“
Ein „Das hoffe ich für dich“ liegt mir auf der Zunge, doch es wird ein freundlicheres: „Ich weiß das zu schätzen.“
Die Tür fällt ins Schloss und ich zurück aufs Bett, die Augen fast geschlossen. Das war knapp! Beinahe wäre ich aufgeflogen und das nur, weil ein Dienstmädchen den Dienstplan nicht lesen kann. Ich schiele zur Uhr auf dem Display des Decoders für die Satellitenverbindung und stelle fest, dass es noch nicht einmal elf Uhr vormittags ist. Kein Wunder, dass mein Körper rebelliert. Gerade als mich der Drang nach Ruhe zu übermannen droht, klopft es erneut an meine Tür. Zaghaft diesmal.
„ Einen Moment“, antworte ich, erhebe mich schwerfällig vom Bett, streife den Bademantel ab und schlüpfe so schnell es eben geht in eine teure Hose, nebst einem passenden Oberteil, um wenigstens einigermaßen passabel auszusehen. Ein Blick in den Spiegel verrät mir zwar, dass ich nicht einmal eine Maus über meine wahre Natur täuschen könnte, aber jetzt muss es einfach reichen.
Als ich die Tür öffne, erwartet mich eine neue Überraschung. Vor der Kabine stehen zwei Menschen. Ein sehr junges Ding, das Nervosität und Angst ausstrahlt, und ein Mann. Ich mustere beide kurz, bevor ich mich zu einem halbwegs freundlichen „Ja, bitte?“ durchringe.
Sie trägt eine gebügelte Uniform, auf deren Brust das Emblem der Reederei gestickt ist. Ihre Gedanken stehen in großen Lettern auf ihr Gesicht geschrieben. Sie hat wahnsinnige Panik davor, etwas falsch gemacht zu haben, und bangt um ihren Job. Er trägt ebenfalls die Schiffsuniform, dazu aber ein Funkgerät in der Brusttasche. Die Antenne schaut hinaus. Er sieht beinahe so aus, als wäre er einem Agentenfilm entsprungen und hätte dort für den Secret Service gearbeitet.
Da mir nichts weiter übrig bleibt, bitte ich sie herein. Während er sich anscheinend fachkundig umsieht, beginnt sie aufgeregt loszuplappern: „Es tut mir wahnsinnig leid, Miss Ashton“, stammelt sie und ihre Finger verknoten sich verkrampft. „Ich … ich dachte nur … also ich hatte Angst, dass Sie
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