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Nachte des Sturms

Nachte des Sturms

Titel: Nachte des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberts Nora
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irischen Heiligen ihre Hände und Füße gewaschen hatten. In der Nähe standen drei steinerne Kreuze, die die heilige Stätte bewachten und vielleicht auch den Liebenden, die hoch auf diesen Hügel kamen, um die Toten zu ehren, Trost zu spenden vermochten.

    Die Aussicht war fantastisch – die Bucht von Ardmore erstreckte sich wie ein grauer Halbmond unter dem sturmbereiten Himmel, der sich weit hinten am Horizont mit der Tag und Nacht pulsierenden irischen See verband. Zwischen dem Tosen der Brandung und dem Heulen des Windes waren leise Klänge von Musik zu hören, zu denen einige dem Winter trotzende gefiederte Gesellen zwitscherten.
    Das schwache, weiße Licht der Sonne erhellte kaum die feuchte, raue Luft und die wilden Gräser, die sich ihren Weg zwischen Felsen und Kieseln hindurch kämpften, waren von einem kränklich bleichen Grün. Trotzdem hielt der Winter hier niemals wirklich Einzug, und Shawn wusste, dass sich bald schon zahlreiche frische grüne Triebe tapfer zwischen den alten Halmen ans Licht schieben würden.
    Es war tröstlich zu wissen, dass nichts und niemand den Kreislauf des Lebens, den man hier erkannte, wirklich jemals unterbrach.
    Shawn setzte sich neben das Grab, kreuzte gemütlich seine Beine und legte die Stiefmütterchen vor den Grabstein mit der Inschrift »Maude Alice Fitzgerald, Eine weise Frau.«
    Seine Mutter war eine geborene Fitzgerald, also waren sie auf irgendeine Weise mit der alten Maude verwandt. Shawn konnte sich noch genau an sie erinnern. Eine kleine, dünne Frau mit grauen Haaren und rauchig grünen, klugen Augen.
    Er konnte sich auch daran erinnern, wie sie ihn manchmal angesehen hatte, als blicke sie ihm mitten in die Seele. Doch trotz dieses Blickes, der ihn irritiert hatte, hatte er sich immer zu ihr hingezogen gefühlt und als Kind häufig zu ihren Füßen gesessen, wenn sie in den Pub gekommen
war. Nie war er es leid geworden, sich ihre Geschichten anzuhören, und später, Jahre später, hatte er einige ihrer Erzählungen in Lieder umgewandelt.
    »Jude schickt dir diese Blumen«, setzte er jetzt an. »Sie ruht sich gerade aus, weil ihr wegen des Babys ein bisschen schwindlig war. Es geht ihr schon wieder gut, mach dir also keine Sorgen. Aber da wir wollten, dass sie sich etwas hinlegt, habe ich gesagt, ich bringe dir die Blumen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.«
    Er verstummte und ließ seinen Blick schweifen. »Nun, da Aidan und Jude das große Haus bezogen haben, lebe ich in deinem Cottage. Wie du sicher weißt, haben wir Gallaghers es immer so gehalten. Und jetzt, wo das Baby kommt, wäre es im Cottage auch ein bisschen eng. Judes Großmutter, deine Cousine Agnes Murray, hat ihr das Cottage bei ihrer Hochzeit überschrieben.«
    Er machte es sich auf dem Boden bequem, während er unbewusst mit den Fingern im Rhythmus der Brandung auf eines seiner Knie trommelte.
    »Ich lebe gern dort, mir gefällt die Stille. Aber es wundert mich, dass sich mir Lady Gwen bisher noch nicht gezeigt hat. Weißt du, dass sie Brenna O’Toole erschienen ist? Du erinnerst dich doch sicher noch an Brenna, die älteste Tochter der O’Tooles, die unterhalb von deinem Cottage wohnen. Sie ist die mit den roten Haaren – nun, die meisten der O’Toole’schen Mädchen haben rote Haare, aber Brennas Haare … leuchten wie das Feuer der Sonne. Man könnte denken, dass man sich, wenn man sie anfasst, die Finger daran verbrennt, aber sie sind nicht wirklich heiß, sondern wunderbar warm und weich wie feinste Seide.«
    Er hörte seine Worte, runzelte die Stirn und räusperte sich leise. »Auf alle Fälle lebe ich seit beinahe fünf Monaten in deinem Cottage, und sie hat sich mir bisher nicht ein
einziges Mal deutlich gezeigt. Und dann kommt plötzlich Brenna, um den Ofen zu reparieren, und die Dame zeigt sich ihr nicht nur, sondern spricht sogar mit ihr.«
    »Frauen sind nun einmal seltsame Geschöpfe.«
    Shawn zuckte zusammen, denn er hatte gedacht, er sei allein hier oben. Er hob vorsichtig den Kopf und sah einen Mann mit langen schwarzen Haaren, Augen in einem durchdringenden Blau und vollen Lippen, die von einem beinahe verruchten Lächeln umspielt wurden.
    »Das habe ich ebenfalls schon oft gedacht«, antwortete er mit möglichst ruhiger Stimme, aber wild klopfendem Herzen.
    »Und trotzdem scheinen wir ohne sie nicht auszukommen.« Der Mann erhob sich von seinem steinernen Sitzplatz in der Nähe der drei Kreuze, bewegte sich geschmeidig in seinen weichen Lederstiefeln über die

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