Nachte des Sturms
sie sich ganz einfach nicht genügend aus. Sie hat so viele Pläne«, fügte sie hinzu, maß die Höhe einer der Wände und schrieb sie in ein kleines Buch. »In ihrem Leben hat sich innerhalb so kurzer Zeit so viel Neues ereignet.«
»Ich schätze, Frauen kommen mit diesen Dingen einfach problemloser zurecht.«
»Das schätze ich auch.« Brenna nahm weiter Maß und machte sich Notizen. »Du musst dich doch daran erinnern, wie es war, als deine Mutter Darcy erwartete.«
»Dunkel.« Er nippte an dem Wasser, um seine durch die überstandene Aufregung trockene Kehle zu befeuchten. Brenna war völlig gelassen, stellte er bewundernd fest. Sie bewegte sich geschmeidig in ihren dicken, alten Stiefeln durch das Zimmer, nahm sorgfältig Maß, kritzelte Dinge in ihr Heftchen, machte kleine Kreuze und schrieb Zahlen direkt auf die Wände.
Ein paar Strähnen ihres Haares hingen ihr wirr um die Wangen. Nur ein paar lange, rote Wellen, die sich wahrscheinlich durch ihren Spurt ins Schlafzimmer gelöst hatten.
»Woran erinnerst du dich am genauesten?«
»Hmmm?« Irgendwo hatte er den Faden des Gesprächs verloren, und jetzt wanderte sein Blick verwundert von ihren roten Locken zurück auf ihr Gesicht.
»Aus der Zeit, als deine Mutter mit deiner Schwester schwanger war! Woran erinnerst du dich am genauesten?«
»Daran, dass ich meinen Kopf auf ihren Bauch gelegt
und all die Tritte und Bewegungen gespürt habe. Es war, als könnte es Darcy nicht erwarten, endlich rauszukommen und das Leben in Angriff zu nehmen.«
»Das ist eine schöne Erinnerung.« Brenna legte Maßband und Notizbuch in den Werkzeugkasten und wandte sich zum Gehen. »Tut mir Leid, dass ich dich vorhin so angefahren habe. Ich hatte einfach schlechte Laune.«
»Du hast fast immer schlechte Laune.« Lächelnd zog er ihre Mütze am Schirm ein wenig über ihre Augen. »Allerdings bin ich deine Seitenhiebe zu sehr gewöhnt, um mich wirklich darüber zu ärgern.«
Das Problem war, dass sie ihm im Augenblick statt eines Seitenhiebes lieber einen Kuss verpasst hätte, und zwar mitten auf den Mund. Um zu sehen, wie er schmeckte. Doch wenn sie das täte, nahm sie an, wäre plötzlich sie diejenige, die in Ohnmacht fallen würde. »Ich kann frühestens Montag oder Dienstag hier anfangen, es besteht also tatsächlich kein Grund, deine Sachen überstürzt herauszuholen. Aber …«
Sie tippte mit dem Finger gegen seine Brust. »Die Bemerkung, dass du besser nicht selbst Bilder in dem Cottage aufhängst, habe ich tatsächlich ernst gemeint.«
Er lachte unbekümmert auf. »Sollte ich plötzlich das dringende Bedürfnis verspüren, einen Hammer in die Hand zu nehmen«, begann er und brachte sie vollkommen aus dem Gleichgewicht, als er sich plötzlich herunterbeugte und sie freundschaftlich auf die Wange küsste, »dann werde ich mich ganz sicher bei dir melden.«
»Tu das«, entgegnete sie, schon wieder wütend, als plötzlich der völlig erschöpft wirkende Aidan in der Tür erschien.
»Es geht ihr gut. Sie sagt, dass es ihr gut geht, und außerdem habe ich den Doktor angerufen, und auch er
sagt, ab und zu ein leichter Schwindel sei vollkommen normal. Sie soll einfach die Füße hochlegen und sich ein bisschen ausruhen.«
»Darcy kocht ihr gerade einen Tee.«
»Das ist gut, das ist genau das Richtige. Jude macht sich Gedanken, weil sie heute Nachmittag Blumen zum Grab der alten Maude bringen wollte. Ich würde sie ja selbst hinbringen, aber –«
»Das kann ich übernehmen«, erbot sich sein Bruder. »Für dich ist es sicher das Beste, wenn du noch ein bisschen bei ihr bleiben kannst. Währenddessen kann ich dorthin fahren, die alte Maud besuchen und rechtzeitig zur Öffnung des Pubs wieder da sein.«
»Dafür wäre – bin ich dir wirklich dankbar«, erklärte Aidan, und seine Miene hellte sich ein wenig auf. »Sie hat mir erzählt, dass du sie aufgefangen, ins Bett getragen und gezwungen hast sich hinzulegen.«
»Vielleicht könntest du sie darum bitten, nicht noch mal in meiner Nähe so einen Anfall zu bekommen. Noch einmal macht mein Herz so etwas sicherlich nicht mit.«
Shawn brachte Maude die fröhlichen purpurroten und leuchtend gelben Stiefmütterchen, die Jude bereits gepflückt hatte. Er kam nicht gerade häufig auf den alten Friedhof. Er hatte noch niemanden verloren, der ihm wirklich nahe gestanden hätte und dort begraben worden wäre.
Die Toten lagen in der Nähe des Brunnens von Saint Declan, wo die Pilgerreisenden zu Ehren des alten
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