Nachte des Sturms
die Frau, um die es ging, zu schützen.
Was sie gleichermaßen erfreute wie beunruhigte.
»Diese Sache kommt nur einfach ziemlich … überraschend«, erklärte Aidan seinem Bruder.
»Ich rege mich ebenfalls nicht auf.« Darcy schenkte Shawn einen milden, schwesterlichen Blick. »Aber ich bin einigermaßen verwirrt. Schließlich hat Brenna dich sogar schon nackt gesehen – gut, es ist ein paar Jahre her, aber solche Dinge vergisst man sicher nicht. Und nachdem sie dich bereits in dieser wenig beeindruckenden Pose begutachten konnte, kann ich einfach nicht verstehen, weshalb sie auch nur das geringste Interesse haben sollte.«
»Das ist eine Frage, die du vielleicht besser ihr stellst.« Er wollte es bei dieser würdevollen Antwort belassen, doch irgendwie kratzten Darcys Worte zu sehr an seinem
Ego. »Davon abgesehen war ich damals gerade fünfzehn und das Wasser war eisig. Du kannst wohl kaum von einem Mann erwarten, dass er seine ganze Pracht entfaltet, wenn er aus dem kalten Wasser steigt.«
»Das ist deine Version der Geschichte.«
»Außerdem hättet ihr beiden gar nicht in meine Richtung sehen sollen. Aber vor allem du hattest schon immer einen Hang zur Perversion.«
»Weshalb hätte ich denn nicht hingucken sollen? Schließlich haben alle hingesehen. Er hatte seine Badehose im Wasser verloren«, erklärte sie Jude, die sie verwundert anblickte. »Und hat es erst gemerkt, als er splitternackt am Ufer stand. Es tut mir noch heute Leid, dass ich keine Kamera dabei hatte.«
Jude sah Shawn mitfühlend an. »Bisher habe ich immer bedauert, ein Einzelkind zu sein. Aber offenbar gibt es Momente, in denen – oh!«
»Was ist los?« Aidan war umgehend auf den Beinen, um seiner Frau aufzuhelfen und sie ins Bett zu tragen. »Ihr beide habt sie mit euren Streitereien aufgeregt.«
»Nein, nein. Das Baby bewegt sich.« Begeistert nahm sie Aidans Hand und legte sie auf ihren Bauch. »Spürst du es? Es fühlt sich an wie kleine Wellenbewegungen.«
Seine Panik verflog, und plötzlich waren sein Herz und seine Augen voller Ehrfurcht. »Ganz schön lebhaft, das Kerlchen.«
»Schließlich ist das hier eine Familienversammlung. Weshalb also sollte das Baby nicht daran teilnehmen?« Shawn griff erneut nach seinem Becher. »Slainte . Prost!«
Er ging die alte Maude besuchen. Zu ihren Lebzeiten hatte er sie jede Woche ein-, zweimal getroffen, und nach ihrem Tod hatte er keinen Grund gesehen, mit dieser schönen
Gewohnheit zu brechen. Vor allem, da man sie an einem wunderschönen Ort begraben hatte, der einen zum Nachdenken geradezu einzuladen schien.
Ein wenig hatte seine Entscheidung auch damit zu tun, dass er auf dem Weg zum Friedhof am Cliff Hotel vorbeikäme. Höchstwahrscheinlich würde er Brenna dort sowieso nicht sehen, aber wenn er nicht in diese Richtung ging, bekam er sie garantiert nicht zu Gesicht.
Soweit er sich erinnern konnte, hatte Maude Fitzgerald eine durchaus romantische Ader besessen, sodass sie seine Logik sicherlich verstand.
Das Hotel hoch oben auf den Klippen bot einen geradezu dramatischen Ausblick auf die endlos grüne See, und obgleich die Luft so früh am Morgen beißend kalt war, genossen bereits einige der Gäste das wilde, ursprüngliche Szenario. Auch Shawn blickte versonnen auf die Fischerboote, die auf dem Wasser wippten, und dankte seinen Vorfahren dafür, dass sie, statt ebenfalls zu fischen, lieber einen Pub eröffnet hatten.
Weit draußen zerrten Tim Riley und seine Helfer tonnenschwere Netze über Bord, während die Wellen um den Kutter tanzten. Shawn klopfte im Rhythmus ihrer Arbeit mit dem Fuß und verwandelte im Geiste den Kampf der Männer gegen die Gewalt des Wassers in ein musikalisches Duell zwischen einer hellen Flöte und einem tiefen Cello.
Sicher fanden die Touristen die Boote pittoresk. Wahrscheinlich erschien ihnen die Arbeit der Fischer wie ein in der Geschichte und Tradition des Landes verankertes, romantisches Vergnügen. Er hingegen empfand sie als kalt, einsam und gefährlich.
Er persönlich gab der Arbeit in der warmen Küche einer Wirtschaft jederzeit den Vorzug.
Während er so dastand, ihm die dunklen Haare um das
Gesicht peitschten und ständig versuchten, sich im Kragen seines Pullovers zu verkriechen, sah ihn Mary Kate. Romantische Gefühle wallten in ihr auf, und sie legte eine Hand an ihr Herz, damit es angesichts des Bildes, das sich ihr bot, nicht zerbarst.
Sie blickte auf Shawn, der mit gespreizten Beinen auf den Klippen stand und in
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