Nachte des Sturms
dass sie die Blumen behalten und liebevoll gepflegt hat. Ich habe daraus gelernt, dass manche Frauen die einfachen Dinge bevorzugen.«
Er reckte einen Finger, auf dessen Spitze eine einzelne, perfekt geformte Perle lag. Mit einem dünnen Lächeln schnippte er sie in Shawns Richtung und nickte, als dieser sie auffing, zufrieden. »Nimm sie, und behalte sie, bis dir klar wird, wer diejenige ist, der du sie geben willst. Und wenn du es tust, gib ihr zugleich die Worte. Sie besitzen einen größeren Zauber als das, was du in deiner Hand hältst.«
Die Luft begann zu flirren, und Carrick verschwand ebenso unmerklich, wie er zuvor erschienen war.
»Der Kerl ist wirklich anstrengend«, murmelte Shawn, als er sich erneut neben das Grab setzte. »Du hast wirklich höchst ungewöhnliche Gesellschaft.«
Dann ließ er die Stille des Friedhofs auf sich wirken. Er blickte auf die Mondblumen, die trotz des hellen Tageslichts in voller Blüte auf dem Grab wippten, studierte die Perle und rieb sie zwischen seinen Fingern. Dann schob er sie in seine Tasche, beugte sich nach vorn und pflückte eine Blume.
»Da sie für Jude ist, hast du sicher nichts dagegen«, erklärte er der alten Maude, blieb noch eine Weile sitzen und wandte sich schließlich nachdenklich zum Gehen.
Er klopfte nicht an. Er war einfach viel zu lange in dem Haus daheim gewesen, um nur daran zu denken. Sobald allerdings die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, fürchtete er jedoch, Jude vielleicht bei der Arbeit zu stören.
Allerdings erschien sie bereits oben an der Treppe, ehe er kehrtmachen konnte, und er hob entschuldigend den Kopf. »Du hast sicher zu tun. Ich komme vielleicht besser später noch mal wieder.«
»Nein, schon gut. Ich könnte eine kurze Pause gut vertragen. Möchtest du vielleicht einen Tee?«, fragte sie und kam ihm bereits entgegen.
»Gern, ja, aber lass mich ihn bitte kochen.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden.« Sie lächelte unsicher, als er ihr die Blüte überreichte. »Danke. Aber ist jetzt nicht die falsche Jahreszeit dafür?«
»Eigentlich schon. Das ist eines der Dinge, über die ich gerne mit dir reden würde.« Gemeinsam gingen sie in Richtung Küche. »Wie fühlst du dich heute?«
»Gut. Sogar sehr gut. Ich glaube, die morgendliche Übelkeit
hat sich endlich gelegt, und ich muss sagen, dass mir das nicht gerade Leid tut.«
»Und mit deiner Arbeit kommst du gut voran?«
Typisch Shawn, dass er sich erst ein wenig wand, ehe er auf den tatsächlichen Grund seines Besuches zu sprechen kam. Während er den Teekessel mit Wasser füllte, suchte sie ein Fläschchen für die Blume. »Allerdings. Obwohl es immer noch Momente gibt, in denen ich nicht glauben kann, was ich inzwischen tue. Letztes Jahr um diese Zeit habe ich noch als Lehrerin gearbeitet und meinen Job gehasst. Jetzt habe ich ein Buch geschrieben, das in Kürze publiziert wird und schreibe bereits an meinem zweiten. Es macht mich ein bisschen nervös, weil ich dieses Mal nicht einfach Geschichten sammle, die andere mir erzählen, sondern weil ich mir selbst etwas ausdenke, aber die Arbeit macht mir einen Riesenspaß.«
»Vielleicht wird die Geschichte dank deiner Aufgeregtheit ja sogar noch besser.« Da er sich hier zu Hause fühlte, griff er nach der Plätzchendose und gab ein paar der Kekse auf einen kleinen Teller. »Ich meine, sicher gehst du, weil du nervös bist, besonders sorgfältig zu Werke.«
»Ich hoffe, du hast Recht. Bist du nervös, wenn du deine Musik schreibst?«
»Nicht bei den Melodien«, erklärte er nach einem Augenblick des Überlegens. »Aber manchmal bei den Worten. Wenn ich versuche, das auszudrücken, was die Töne mir sagen. Manchmal ist es regelrecht frustrierend.«
»Und wie gehst du damit um?«
»Oh, ich zerbreche mir endlos den Kopf.« Er gab den Tee in die vorgewärmte Kanne. »Und wenn ich davon nichts anderes als einen Brummschädel kriege, mache ich einen langen Spaziergang und versuche, an etwas völlig anderes zu denken. Meistens kommen die Worte dann wie
von selbst, als hätten sie die ganze Zeit darauf gewartet, dass ich sie endlich pflücke.«
»Ich fürchte mich davor, die Arbeit zu verlassen, wenn ich nicht vorankomme. Ich denke immer, wenn ich das tue, kann ich am Ende gar nicht mehr schreiben. Deine Art, mit diesen Dingen umzugehen, ist sicher wesentlich gesünder.«
»Aber du bist eine angesehene Autorin, oder etwa nicht?« Während der Tee zog, holte er die Becher aus dem Schrank.
»Willst du denn, dass
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