Nachte des Sturms
aber du erweist dich als noch dickschädeliger als dein Bruder.«
»Das haben vor dir schon andere gesagt.«
»Es ist alles besiegelt, Gallagher, der Jüngere.«
Da Carrick inzwischen direkt vor ihm stand, sprang Shawn auf die Füße. »Was willst du damit sagen?«
»Deine Zukunft, dein Schicksal. Du hast deine Wahl getroffen. Wie kommt es, dass du in dein Herz blickst und dort deine Musik findest, nicht jedoch dein Leben?«
»Mein Leben ist genau so, wie es mir gefällt.«
»Dickschädel«, sagte Carrick nochmals. »Der Himmel bewahre mich vor der Narretei der Sterblichen.« Er warf die Hände in die Höhe, worauf am wolkenlosen blauen Himmel Donnergrollen laut wurde.
»Falls du dir einbildest, du könntest mich mit derartigen Tricks beeindrucken, dann hast du dich geirrt. Sie sind doch nur ein Ausdruck deines Jähzorns, und ich kann ebenfalls recht wütend werden.«
»Würdest du es wirklich wagen, dich mit mir zu messen?« Carrick winkte mit dem Finger, und ein blendend weißer Blitz schlug direkt vor Shawns Füßen in den Boden.
»Reine Schikane!« Trotzdem hätte Shawn vor Schreck und Überraschung beinahe einen Satz zurück gemacht. »Und deiner nicht würdig.«
Carricks Augen verdunkelten sich vor Zorn, und an seinen Fingerspitzen züngelten wütende, kleine, rote Flammen, die jedoch erloschen, als er plötzlich den Kopf zurückwarf und schallend zu lachen begann. »Nun, du bist entweder mutiger oder aber viel dümmer, als ich dachte.«
»Auf alle Fälle bin ich vernünftig genug, um zu wissen, dass du zwar Schabernack treiben, jedoch keinen echten Schaden verursachen kannst. Du machst mir also keine Angst.«
»Ich könnte dich in die Knie zwingen und wie einen Ochsenfrosch krächzen lassen, wenn ich wollte.«
»Was meinen Stolz verletzen würde, aber weiter nichts.« Trotzdem würde Shawn es lieber nicht probieren. »Was soll das Ganze? Versuchst du etwa, mich durch solche Drohungen wohlgesonnen zu stimmen?«
»Ich habe über einen Zeitraum von sechs Menschenleben darauf gewartet, etwas zu bekommen, das du haben könntest, indem du einfach die Hände danach ausstreckst.« Carrick seufzte leise auf. »Beim zweiten Mal habe ich die Tränen des Mondes für sie gesammelt.« Er löste den Beutel von dem Gürtel. »Habe ihr die aus ihnen erwachsenden Perlen vor die Füße geschüttet, und alles, was sie sah, waren die Perlen.«
Er drehte den Beutel herum und überschüttete Maudes Grab mit glitzernd weißen Steinen. »Sie schimmerten im mondbeschienenen Gras, weiß und glatt wie ihre Haut. Aber sie sah nur die Perlen, sah nicht, dass ich auch mein Herz vor sie hingelegt hatte – mein Verlangen, meine reine Liebe. Ich wusste nicht, dass ich es ihr hätte sagen müssen oder dass es vielmehr sowieso bereits zu spät war, weil ich ihr den Teil meiner, den sie hätte haben wollen, vorenthalten hatte.«
Carricks Stimme klang derart verzweifelt und unglücklich, dass Shawn tröstend nach seinem Arm griff. »Was hätte sie denn haben wollen?«
»Liebe. Nur das Wort. Nur das eine Wort. Stattdessen gab ich ihr Diamanten – die Juwelen der Sonne, die Perlen, die hier vor dir liegen, und schließlich die Steine, die ihr Saphire nennt, und die ich vom Grund des Meeres geholt hatte.«
»Ich kenne die Geschichte.«
»Ja, das kann ich mir denken. Und die Frau deines Bruders, Jude, hat sie in ihrem Märchen- und Legendenbuch verewigt. Trotzdem gibt es immer noch kein glückliches
Ende, denn vor lauter Zorn und Schmerz habe ich meine geliebte Gwen mit einem schlimmen Bann belegt – überstürzt, wie ich inzwischen einräumen muss. Dreimal müssen zwei Herzen einander in Liebe begegnen, dreimal müssen zwei Wesen einander vorbehaltlos akzeptieren, ehe meine Gwen und ich frei und zusammen sein können. Dreimal hundert Jahre habe ich nunmehr gewartet, und meine Geduld neigt sich dem Ende zu. Du bist ein Mann der Worte.«
Nachdenklich ging Carrick um Shawn und das Grab herum. »Du verwendest sie in deiner Musik – Musik, die auch andere hören sollten, aber darum geht es heute nicht. Ein Mann, der das Talent hat, mit Worten umzugehen, ist jemand, der versteht, was in einem Menschen vorgeht, manchmal sogar, ehe dieser selbst es weiß. Es ist eine Gabe, und ich bitte dich lediglich darum, dass du sie endlich nutzt.«
Er machte eine ausladende Handbewegung, und aus den Perlen auf dem Grab erwuchsen kleine, weiße Blüten. »Die Juwelen, die ich Gwen gegeben habe, wurden zu Blumen. Jude wird dir erzählen,
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