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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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Wishart gesucht hatte. Um einen Anfang zu machen, schickte sie ihm die Inhaltsübersichten.
    Dann kehrte sie zu Gemma Wisharts Bericht und ihrer Abschrift von Katjas Tonband zurück. Irgendetwas passte da nicht zusammen, aber sie wusste nicht, wo sie suchen sollte. Greenhough hatte festgestellt, dass Katja wahrscheinlich zweisprachig war – was offenbar in diesem Teil von Russland nicht ungewöhnlich war. Gemma Wishart hatte es für wichtig gehalten, eine Übersetzung dieser Wörter zu finden, sie hatte danach gesucht und sich Rat holen wollen. Aber was konnten ihr vier Wörter schon sagen? Wisharts Nachforschungen hatten sie zu jemandem geführt, der Marcus Holbrook hieß und ein Fachmann für die russische Sprache war. Farnhams Leute hatten mit ihm gesprochen, aber er hatte nicht aufklären können, wonach sie gesucht hatte. Lynne wurde ganz wirr im Kopf – sie fand sich da nicht mehr durch.
    Sie hatte Greenhoughs Privatnummer. Zuerst reagierte er ablehnend, weil er wohl dachte, sie wolle sein Gutachten kritisieren, aber als ihm klar wurde, dass sie Informationen suchte, wurde er zugänglicher. Akademiker, dachte sie. »Ich bin kein Experte für die Sprachen Russlands«, sagte er. »Es ist überhaupt nicht mein Gebiet.«
    »Wen würden Sie denn vorschlagen?«, fragte Lynne. Guter Gott, er war doch Experte für Russisch, oder? So schwer konnte das doch nicht sein!
    Er lachte. »Gute Frage. Sehen Sie, Inspector Jordan, ich weiß nicht einmal, um wie viele Sprachen es geht. Mir fallen spontan sechs ein – Ossetisch, Jiddisch, Mordwinisch, Tatarisch, Tschetschenisch, Georgisch. Es könnten fünfzig, sechzig oder mehr sein. Ich bin nicht sicher, ob Ihnen jemand eine genaue Anzahl angeben kann. Und darüber wird hier nicht viel geforscht. Sie müssten zu einer russischen Universität gehen, und sogar dort bekämen Sie Probleme.« Lynne schwieg, als sie begriff, was das bedeutete. »Inspector Jordan?«, sagte er.
    »Sorry. Ich überlegte gerade. Man hat mir zu verstehen gegeben, Dr. Wishart hätte die Sprache erkannt.«
    »Na ja« – er klang skeptisch –, »ich habe mit einer ihrer Kolleginnen gesprochen, mit Rosalind Bishop. Ihr war gesagt worden, dass die problematischen Stellen umgangssprachliches Russisch seien – und das war ein Irrtum. Das sind sie keinesfalls.«
    Lynne hatte das Gefühl, dass sie plötzlich ein Ziel vor sich zu sehen begann. »Wer hat ihr das gesagt?«
    Greenhough schwieg einen Augenblick. Als er antwortete, schien er zu zögern. »Ich glaube, sie hat etwas missverstanden, das ihr jemand gesagt hatte.«
    »Von wem wurde ihr das gesagt, Dr. Greenhough?« Lynne bemühte sich, nicht zu scharf zu klingen.
    »Er ist ein angesehener Experte der russischen Sprache. Hier in unserem Land. Er hat also bestimmt keinen Fehler gemacht.« Lynne wartete. »Er arbeitet jetzt in Sheffield, aber er ist emeritiert. Marcus Holbrook, Professor Holbrook.«
    Holbrook. »Er hat sich aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen«, sagte Greenhough. »Vor ein paar Jahren hatte er einen Herzinfarkt.«
    »Was tut er jetzt?« Lynne wusste nicht genau, warum sie das verfolgen wollte, aber jemand, möglicherweise dieser Holbrook, schien Roz Bishop wegen dieses Tonbands getäuscht zu haben, und sie wollte wissen, warum.
    »Wissenschaftler hören nie mit ihrer Forschungsarbeit auf«, sagte Greenhough nachsichtig. »Und er hat mit einem Studentenaustausch-Programm zu tun. Russische Studenten und Schüler kommen in unser Land, und wir schicken unsere dorthin, dadurch entstehen freundschaftliche Beziehungen. Marcus hat viele Kontakte da drüben, also hat er sich privat damit befasst, nachdem er in Pension ging.«
    Das glaube ich gerne, dachte Lynne, als sie den Hörer auflegte. Das glaube ich allerdings gerne.
    Als sie zu Roy Farnhams Büro ging, fand sie ihn über einen Atlas gebeugt, und die Unterlagen aus einer Akte waren vor ihm auf dem Schreibtisch ausgebreitet. Er runzelte die Stirn, als er sie sah, lächelte dann aber schnell und sagte: »Ich bin ein bisschen in Zeitnot, Lynne. Kann es warten?«
    »Ich glaube nicht.« Sie erzählte ihm von dem Gespräch mit Greenhough und von Holbrooks beruflichen Interessen.
    Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was sie meinte, aber dann verschwand seine leichte Ungeduld. »Wie, zum Teufel, konnten wir das übersehen?«, sagte er.
    Wie, zum Teufel, konnte ich es übersehen, dachte Lynne. Sie war dankbar, dass er ›wir‹ gesagt hatte, aber sie war diejenige, die versucht

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