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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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und gab Ket ein. Dann drückte sie auf ›Suchen‹. Das Programm reagierte sofort und sprang auf eine Seite mit Informationen über die Sprachen von Randgruppen in Russland. Es war ein Abschnitt im mittleren Teil einer Seite:
    Ketisch oder Jenissei-Ostyak ist eine der zwei noch erhaltenen Sprachen der Jenissei-Sprachenfamilie, die von den Keten, einer einheimischen Volksgruppe Zentralsibiriens, gesprochen wird. Im zwanzigsten Jahrhundert gerieten die Keten wie andere Volksgruppen auch unter russischen Einfluss. Heute sprechen die meisten Keten Russisch …
    Das Wort ›Ket‹ hatte einen Link, Luke klickte ihn an und danach ›play‹. Eine junge, leise Frauenstimme begann zu sprechen. Und dazwischen hörte man eine zweite, Gemmas Stimme, die in schnellem, fließendem Russisch Fragen stellte, viel zu schnell für Roz' geringe Kenntnisse. Sie berührte Lukes Hand. Sie war kalt. Die Befragung wurde zu einer Unterhaltung, und die beiden Stimmen überschnitten sich und wechselten von ernster, nachdenklicher Diskussion zu schnellen, von Kichern unterbrochenen Dialogen. Zwei Freundinnen, die miteinander plauderten. Sie wechselten zwischen Russisch und Englisch hin und her und wetteiferten darin, ihre Sprachkenntnisse zu trainieren. Sie sprachen eine Zeit lang über Ketisch, und der Akzent und die Intonation der zweiten Sprecherin änderte sich, als sie in diese dritte Sprache wechselte. Das Englisch, das die russische Frau sprach, war lückenhaft und stockend, und der größte Teil des Gesprächs verlief auf Russisch. Es war keine professionelle Aufnahme und gehörte auch nicht zu Gemmas Forschungsmaterial, sondern es war eine Kuriosität, der Holbrook wohl nicht hatte widerstehen können. Eine Sprache, die im Aussterben begriffen war, und Gemma hatte eine junge Frau gefunden, die diese Sprache beherrschte, und hatte sie aufgenommen.
    »Ketisch«, sagte Roz. »Das hat Gemma Holbrook gegeben. Ein Band mit einer zweisprachig aufgewachsenen Sprecherin von Russisch und Ketisch. Ich verstehe immer noch nicht, was das zu bedeuten hat, aber wir müssen es der Polizei mitteilen.« Luke sah sie einen Moment an, dann nickte er zögernd.
    Hull, Sonntag
    Matthew Pearse wohnte in einer Einzimmerwohnung in der Oststadt, nicht weit vom Hafen entfernt. Das kleine Reihenhaus aus gelbem Backstein stand neben einer Reihe von Läden, einem Fish-and-Chips-Imbiss, einer Reinigung und einem Pub. Der Vermieter sagte, Pearse habe die Wohnung seit mehreren Jahren. »Er ist ein guter Mieter«, stellte er fest. »Zahlt seine Miete pünktlich, hält die Wohnung sauber, macht keine Probleme.« Über Pearse' Privatleben wusste er nichts.
    Die Wohnung wies nur minimale Spuren auf, dass jemand hier wohnte. Sie war sparsam möbliert, ein schmales Bett stand an der Wand, ein Stück vom Fenster entfernt, daneben ein kleiner Tisch mit einer aus einer leeren Flasche gebastelten Tischlampe. Unter dem Fenster stand ein Klapptisch und neben der Tür ein Kunststoffschrank. Ein Regalschränkchen neben diesem Kleiderschrank sah aus, als gehörte es zu einer Einbauküche. Alles war sauber und ordentlich. Das Bett war mit billiger Bettwäsche bezogen, eine graue Decke lag darauf. Es gab keine Bilder, keinen Schmuck, nichts Persönliches, außer einem Buch auf dem Tisch am Bett.
    Pearse schien sehr wenig zu besitzen. Der Kleiderschrank enthielt ein sauberes Hemd und eine gebügelte Hose auf einem Kleiderbügel. In einer Schublade lagen ein Paar Socken und eine Unterhose. Die Socken waren gestopft. Auch ein Unterhemd fand Lynne. Eines zum Tragen und eines in der Wäsche, dachte sie. In der Küche waren eine Tasse, ein Teller, eine Schale und in einer Schublade ein Satz Besteck und ein Dosenöffner. Auch ein paar Dosen waren da – Bohnen, Spaghetti, Reispudding und ein kleiner, aufgeschnittener Laib Brot, dessen Verpackung sorgfältig wieder verschlossen war, um den Rest Brot frisch zu halten. Farnham roch an einer halb vollen Packung Milch, verzog das Gesicht und sagte: »Sie ist sauer.«
    Das Buch, in dem ein Lesezeichen steckte, war Teilhard de Chardins Der Mensch im Kosmos. Zwischen den Seiten des Buches steckte irgendwo ein etwas vergilbtes Foto, das an der Ecke geknickt war, als halte es jemand oft in der Hand. Darauf war ein weiß gekleidetes Mädchen mit einem weißen Schleier. Sie hielt der Kamera einen Korb mit Blumen entgegen und lächelte. Ein Hochzeitsfoto? Nein, sie war zu jung – vierzehn, fünfzehn?
    Lynne ging in die Diele hinunter, die zur

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