Nachtengel
Vergewaltigung und versuchten Mord an Roz Bishop vorwarf. Er behauptete, es sei Sex mit ihrer Zustimmung gewesen. »Es war ihre Idee, Vergewaltigungsspiele zu treiben«, sagte er. »Sie mag das.« Dann verlangte er einen Anwalt.
Lynne Jordan hielt Kontakt mit dem Krankenhaus in Sheffield, wo Roz Bishop wegen eines Schocks und leichter Verletzungen behandelt wurde. »Sie behalten sie über Nacht da«, berichtete der für den Fall zuständige Beamte.
»Hat sie irgendetwas gesagt?«, fragte Lynne.
»Sie hat immer wieder nach Luke Hagan gefragt. Hörte sich an, als hätte Lewis ihr gesagt, was er mit Hagan gemacht hat. Aber sie sagte – warte mal, ich hab mir's aufgeschrieben: Sie sagte über Lewis …« Er begann vorzulesen: »›Lewis sagte, Gemma hätte die Stimme erkannt, aber sie hätte das selbst nicht gewusst. Deshalb brauchte sie das Archiv. Er sagte, es sei ein Spiel gewesen.‹ Dann regte sie sich furchtbar auf, und der Sanitäter befahl mir, nicht weiter zu fragen.«
Gemma hatte die Stimme wiedererkannt. Es war nicht Oksanas Identität, die verborgen gehalten werden musste, sondern es ging darum, dass Gemma vermutlich Oksana mit Holbrook in Verbindung bringen konnte. Dadurch war Gemma für Lewis sehr gefährlich geworden. »Was gibt es Neues von Luke Hagan?«
»Noch nichts. Er ist noch im OP.«
»Wird er es schaffen?« Lynne fragte sich, wie viele Todesfälle letztendlich auf Lewis' Konto gehen würden.
»Es steht auf der Kippe«, sagte der Beamte, und Lynne ließ es dabei bewenden.
Sheffield, Montagnacht, Dienstagmorgen
Roz wachte in einem kleinen, kahlen Raum auf, dessen Fenster hoch oben war. Das Bett, auf dem sie lag, war sauber, aber unbequem. Ein Krankenhausbett. Eine Birne an der Decke verbreitete ein blasses Licht. Ich will nicht im Dunkeln aufwachen! Sie erinnerte sich, das zu der Schwester gesagt zu haben, die ihr eine Spritze gab. »Damit Sie sich besser ausruhen können«, antwortete sie auf Roz' Fragen. Sie war merkwürdig klar im Kopf, fühlte sich aber ziemlich abgekoppelt von ihrer Umgebung. Das matte Licht erinnerte sie an die Beleuchtung im Auto, und sie glaubte, wieder die Stimme zu hören und den Schmerz am Hals zu spüren.
Aber da war noch etwas anderes. Sie hatte immer wieder gefragt, bevor sie sich behandeln ließ, und alle weggestoßen, bis sie eine Antwort bekam. Luke sei ›verletzt‹, hatten sie gesagt, sie wüssten noch nichts und könnten ihr nichts sagen. Aber schließlich hatte die Polizeibeamtin, die sie aufgefangen hatte, als sie aus dem Auto fiel, ihr gesagt: »Roz, hören Sie. Luke lebt, aber er ist schwer verletzt. Er ist im Operationssaal, und es wird ein paar Stunden dauern, bevor man Ihnen etwas sagen kann. Es ist wirklich so.« Und jetzt wehren Sie sich nicht weiter gegen die Behandlung, war ihre unausgesprochene Aufforderung, und Roz hatte nachgegeben.
Ein paar Stunden. Das hieß also genau jetzt. Niemand war gekommen, um ihr etwas zu sagen. Der Klingelknopf war neben ihrer Hand ans Kissen geklemmt. Sie brauchte ihn nicht, sie war ja nicht ernstlich verletzt. Sie setzte sich auf und nahm den Morgenmantel, der auf dem Bett lag. Er war aus weichem weißem Frottee, und ihr Nachthemd aus weißer Seide. Diese Sachen gehörten ihr nicht. Roz hatte keine teure Nachtwäsche. Normalerweise trug sie gar nichts oder ein T-Shirt, wenn es kühl war. Und sie besaß einen alten, verblichenen Morgenmantel, der mindestens zwei Wochen für die Wäsche überfällig war. Also Joanna. Sie musste die Sachen gebracht haben.
Roz ging zum Schwesternzimmer. In ihrem Magen saß eine dumpfe Angst, während die Vernunft ihr sagte, sie solle besser um eine Schlaftablette bitten und noch etwas schlafen. Bis sie diese Frage stellte, war Luke für sie noch am Leben. Verletzt – aber er lebte noch. Nach dieser Frage würde sie vielleicht akzeptieren und sich langsam damit abfinden müssen, dass sie ihn nie wiedersehen, mit ihm sprechen, ihn berühren und nie wieder in der Nacht neben ihm liegen würde. Der Schmerz in ihrer Kehle war so schlimm, dass sie kaum sprechen und ihre Frage herausbekommen konnte, als die Schwester, von Roz' plötzlichem Erscheinen mitten in der Nacht beunruhigt, vor ihr stand. »Luke?«, sagte Roz nur. »Luke Hagan?«
Sie hatte erwartet, dass man hin und her telefonieren und sie warten lassen würde. Wenn die Nachricht gut war, wären sie doch gekommen, um es ihr zu sagen. Wenn die Nachricht schlecht war, hätten sie sie schlafen lassen und ihr ein paar
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