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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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ihrem Kopf rotierte immer wieder der Ablauf des schrecklichen Geschehens wie eine Endlosschleife: Wie die Straße unter den Rädern verschwand, die wachsende Angst auf der Straße nach Sheffield, als das Auto unerbittlich weiter durch den Nebel fuhr, der Motor ausging, das Motorrad anhielt, ihre Erleichterung, dass Luke gekommen war, und dann der Schlag im Dunkeln und diese Hände und diese Stimme. Sie schauderte noch, als Luke sich leise bewegte und einen Laut von sich gab.
    Sie fuhr zusammen und wachte auf, als die Schwester wieder zum Nachsehen kam. Sie lächelte Roz beruhigend zu und musterte sie dann genauer. »Sie sollten in Ihr Bett zurückgehen«, sagte sie.
    »Ich gehe nicht von ihm weg«, sagte Roz. »Noch nicht.« Sie trank etwas Wasser und erzählte ihm dann von Dingen, die sie oft zusammen getan hatten – und die sie wieder tun würden. »Weißt du noch«, sagte sie, »die Fahrten nach Leeds? Als wir zum Jazzfestival gegangen sind?« Es war eine schmerzliche Erinnerung, weil dieser gemeinsame Abend, den sie nicht vergessen wollte, auch der Anfang ihrer Entfremdung war. »Ich habe es damals nicht verstanden«, sagte sie. Er lag still auf dem Bett, sein Gesicht war um die Quetschungen herum weiß, und die Augen waren eingesunken. Sie glaubte, eine bläuliche Färbung um seine Lippen zu sehen, und ihr wurde tief im Inneren kalt, wo die Wärme im Krankenhaus nicht hinreichte. Sie erzählte ihm von den Plänen für ihr nächstes Buch. »Es ist so langweilig«, sagte sie. »Vielleicht wachst du auf, nur um mir zu sagen, ich soll still sein.« Sie strich ihm leicht über die Haare, ihn kaum berührend, weil sie Angst hatte, ihm wehzutun, dann sagte sie ihm, dass sie ihn liebte, denn jetzt war sie sich sicher. Sie musste eingeschlafen sein, denn plötzlich wurde sie wach, draußen war es hell, und Luke sah sie aus seinem halb offenen, gesunden Auge an. »Was hab ich gestern Abend bloß getrunken, verdammt noch mal?«, murmelte er und schloss es wieder.
    Hull, Dienstagmorgen
    Die von den verschiedenen Universitäten durchgefaxten Unterlagen gaben nähere Auskunft über Sean Lewis. Er war fünfundzwanzig Jahre alt und hatte im Fach Informatik promoviert. Er hatte einen befristeten Vertrag, und sein derzeitiger Professor äußerte sich verwundert darüber, dass er eine so schlechte Stelle in der Forschung angenommen hatte. Bis jetzt hatte er sich nicht besonders profiliert, er war ein fähiger, talentierter junger Mann, hatte aber kein festes Ziel vor Augen. Weitere Nachforschungen ergaben jedoch ein anderes Bild. Er hatte eine kleine Wohnung in einem teuren Hochhaus, die die Möglichkeiten eines Forschungsassistenten bei weitem überstieg, und sein Bankkonto und andere Unterlagen über seine Finanzen zeigten, dass er bis vor einigen Monaten schwer verschuldet gewesen war.
    Obwohl er als Student erfolgreich war und in Oxford als Bester seines Jahrgangs abgeschlossen hatte, schreckte seine Vorgeschichte jeden ab, der das ganze Bild zu Gesicht bekam. In der ersten Zeit als Student war eine Beschwerde wegen Notzucht gegen ihn eingegangen. Die Anklage wurde fallen gelassen, als die Frau, die ohne Bleibe umherzog und bereits mehrfach wegen Prostitution vorbestraft war, nicht zur Verhandlung erschien. Aus Gründen, die aus den Unterlagen nicht hervorgingen, war ihm nach der Promotion kein Forschungsauftrag an der Universität angeboten worden, obwohl er mit hervorragenden Referenzen zum Massachusetts Institute of Technology gekommen war.
    Eine ähnliche Sache überschattete seinen Abgang vom MIT. Ein Kommilitone hatte ihn beschuldigt, bei einem Rendezvous ein Mädchen vergewaltigt zu haben, und obwohl die Anklage abgewiesen wurde, bot ihm das MIT keine weitere Tätigkeit an, als er seinen Doktor gemacht hatte.
    Eine Untersuchung von Roz Bishops Auto zeigte, dass die Zündung auf einfache, aber geschickte Weise lahm gelegt worden war. Ein elektronischer Schaltkreis aus einem Timer und einem Schalter war an die Zündung angeschlossen. Wurde die Zündung betätigt, setzte sich der Timer in Gang. Nach einer gewissen Zeit wurde durch den Timer der Schalter angeknipst, wodurch in der Zündung ein Kurzschluss entstand und der Motor ausging. »Sehen Sie«, erklärte der Ingenieur Farnham. »Man befestigt ihn einfach an dem Draht. Beim nächsten Anlassen fängt der Timer an zu laufen, und nach der eingestellten Zeit, batsch, fällt der Motor aus. Wenn Sie den ganzen Kram danach wieder herausnehmen, wird niemand etwas bemerken.

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