Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
Vom Netzwerk:
nicht jemand hereinkam und ihn aufhielt. Sie wehrte sich und schrie. Er kniete auf ihr und presste ihre Beine mit seinem ganzen Gewicht auf den Boden. Er legte ihr die Hand um den Hals und drückte zu. Sie spürte, wie ihr die Luft ausging und der Druck im Kopf immer stärker wurde. »Angel schuldet mir einen Gefallen«, sagte er. »Also machst du, was ich sage, du Miststück.« Er lächelte ihr zu und lockerte den Griff um den Hals. Sie sah den glänzenden Schweiß auf seinem Gesicht. »Du magst das doch, oder etwa nicht, du dreckige Pennerfotze.« Er rammte seine Finger in sie hinein, und sie biss die Zähne zusammen, weil es so wehtat. »Oder?« Ihr wurde übel. »Ist doch so? Ist doch so?« Jedes Mal, wenn er fragte, stieß er die Finger brutaler in sie hinein.
    »Ja!« Sie schloss die Augen und versuchte abzuschalten, alles der Puppe zu überlassen, damit sie nicht fühlte, was mit ihr geschah, damit sie nicht dabei war, wenn er tat, was immer er noch tun würde.
    Sie dachte an ihre Mutter. Anna … bevor es zu spät ist! Ihre Mutter hatte um ihr Leben und für das Leben ihrer Kinder gekämpft. Ihre Mutter hatte sich nicht unterworfen und ihrem Bewusstsein erlaubt, sich an einem Ort zu verstecken, wo alles gleichgültig war. Der Mann murmelte jetzt zornig: »Dreckiges Weibsstück, dreckige …« Eine Litanei von Schimpfworten folgte, die ihn immer mehr erregten. Angel hatte gesagt, er würde ihr beistehen, aber sie hatte jetzt schon Wunden und Prellungen. Was konnte Angel da noch mit ihr anfangen? Angel ließ einfach zu, dass er ihr dies antat. Der Mann zog sie auf die Knie und legte ihr wieder die Hände um den Hals, aber jetzt hatte sie die Arme frei. Jetzt war es soweit. Wenn sie einen Fehler machte und ihn so wütend machte, dass er sie umbrachte, würde sie vielleicht beim ersten Schlag das Bewusstsein verlieren. Vielleicht wäre es sogar besser so. Sie holte aus und griff nach der Tischlampe, deren Kabel ziemlich lang war, und prüfte, ob es irgendwo festhing. Jetzt! Beim ersten Mal traf sie ihn kaum, der ungünstige Winkel zur Lampe machte es unmöglich, kraftvoll zuzuschlagen, aber er wich vor Schreck und Erstaunen zurück. Die Ungläubigkeit auf seinem Gesicht fing an, sich in Zorn zu verwandeln, da hob sie die Lampe noch einmal hoch und traf ihn an der Schläfe. Die Wirkung des Alkohols verlangsamte seine Reflexe, er verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Und jetzt war ihre Mutter ihr Schutzengel. Beim Fallen schlug er mit der Schläfe auf die Tischkante und blieb zusammengesunken auf dem Boden sitzen, hielt die Hände an den Kopf und stieß ein seltsames Stöhnen aus.
    Blitzschnell verließ sie das Bett. Außer der Unterwäsche, die Angel ihr zu tragen befahl, wenn sie arbeitete, hatte sie keine Kleider. Die Sachen des Betrunkenen lagen auf einem Stuhl. Er hatte sie beim Ausziehen sorgfältig dorthin gelegt, und sie hatte ihm zugelächelt, wie Angel es sie geheißen hatte. Sie zog sein Sweatshirt an und ließ es herunterhängen wie ein Kleid. Das war genug. Die Sommernacht war warm. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Sie zögerte, griff dann in die Tasche der Jacke, die über dem Stuhl hing. Ihre Finger umfassten eine dicke Brieftasche, die sie in ihr Hemd steckte. Irgendjemand würde sich zusammenreimen, was geschehen war, irgendjemand würde kommen. Sie dachte an das Gesicht ihrer Mutter und schlug mit dem Fuß der Lampe das Fenster ein. Die Scheibe splitterte. Sie hörte eilige Schritte, als sie das Bein über den Fenstersims schwang. Es war drei Stockwerke hoch. Mama, hilf mir jetzt! Sie streckte sich seitwärts, ihre Finger tasteten nach der Regenrinne, da rutschte sie ab. Das Gewirr von Rohren an der Hinterwand des Hauses bremste ihren Sturz, bei dem sie irgendwo Halt zu finden suchte, und schließlich, mit nur ein paar Kratzern, auf dem Boden landete. Aus einem Überlauf platschte Wasser auf ihren Kopf, und sie kam schwankend auf die Füße und rannte … tropf tropf des Wassers … fort in die Nacht hinaus.
    Sie war Angel davongelaufen. Sie hatte ihn betrogen. Sie hatte seinen Freund verletzt, vielleicht getötet, und sein Geld gestohlen.
    Es gab niemanden, der ihr helfen würde. Sie war ganz allein.

7
    Sheffield, Montagabend
    Roz war froh über die friedliche Stimmung, als sie die Haustür hinter sich schloss. Der Tag war eine Mischung aus Frustration und Langeweile gewesen, aus Aufgaben, die sie in Angriff nahm, aber unmöglich bewältigen konnte, und aus unklaren Ängsten, die sie

Weitere Kostenlose Bücher