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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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klammerte sie sich an eine Ehe, die gestorben war, die seit Jahren zerstört war? In Freud und Leid, in Krankheit und Gesundheit, in guten wie in schlechten Zeiten. Zum Teil war es ein Schutz für Nathan. Als seine Frau hatte sie noch ein Mitspracherecht. Aber hauptsächlich war es wegen eines Versprechens, das Roz als junge Frau dem jungen Nathan gegeben hatte. Hätte sie von ihm erwartet, sein Wort zu halten? Die einundzwanzigjährige Roz schon. Aber die dreißigjährige Roz tat das nicht.
    Einundzwanzig. Sie war einundzwanzig und Nathan sechsundzwanzig, als sie heirateten. Sie waren zum Standesamt gegangen, sie und Nathan, mit zwei Freunden als Trauzeugen, und hatten sich das Ja-Wort so heimlich wie möglich gegeben. Ich erkläre feierlich … Sie sah noch Nathans Gesicht vor sich, bei dieser Gelegenheit einmal ernst, das helle Haar sorgfältig gekämmt, er sah ihr in die Augen … dass ich keinen Grund kenne …
    Hull, Montagabend
    Das Haus lag am Ende einer Seitenstraße und grenzte hinten an ein verlassenes Industriegelände. Die Häuser hier waren hoch, dreistöckig, mit eleganten Backsteinmustern, die nicht zu der abblätternden Farbe und den verrottenden Balken passten. Der Verkehr auf der Hauptstraße, die aus der Stadt heraus zur Ostküste führte, dröhnte ständig im Hintergrund. Zwei Tage nachdem Anna von Angel weggelaufen war, hatte sie die Adresse von der Beratungsstelle bekommen und den Weg hierher gefunden. »Es ist nicht schön dort«, hatte Matthew, einer der ehrenamtlichen Helfer, gestottert. »Aber niemand wird dir Fragen stellen, solange du bezahlen kannst.«
    »Ich habe Geld«, sagte sie. An seinem Gesicht konnte sie ablesen, dass er wusste, wie sie es verdient hatte. Er hatte traurig ausgesehen, und diese Traurigkeit gab ihr das Gefühl, dass sie ihm vertrauen konnte. Sie hatte mit ihm sprechen wollen, um ihm zu erzählen, was passiert war. Aber das konnte sie natürlich nicht. Sie konnte es niemandem erzählen.
    Das Zimmer war nichts Großartiges, aber es reichte. Sie hatte dem Vermieter, der nie wiederkam – er schickte nur jemanden, der jede Woche das Geld kassierte –, die Miete für die erste Woche gegeben. »Wenn Sie nicht pünktlich zahlen, sind Sie draußen«, hatte er zu ihr gesagt. Sie hatte gewusst, was sie mit dem Geld des Betrunkenen machen wollte. Es war nicht genug gewesen für die Papiere, die sie brauchte, aber sie hatte sparen können, weil Matthew ihr gesagt hatte, wo sie Aushilfsarbeit finden konnte, frühmorgens und spätabends. Sie hatte Orte ausgewählt, von denen sie nicht glaubte, dass Angel dorthinkommen würde, Orte, die sie für ungefährlich hielt.
    Sie stand unsicher an der Ecke. Der gesunde Menschenverstand sagte ihr, dass niemand das Haus bewachen würde, jedenfalls nicht Tag und Nacht. Es war vier Tage her, seit sie zum letzten Mal dort gewesen war, es lohnte nicht, ihretwegen ununterbrochen Wache zu stehen. Aber man hatte vielleicht jemandem gesagt: »Wenn sie kommt … hier, diese Nummer … sofort … zahlt sich aus für dich …« Sie würde sich beeilen müssen, aber jetzt im Moment brauchte sie keine Angst zu haben.
    Sie spürte ihr Herz bis zum Hals klopfen, als sie die Straße entlangging und sich dabei in die dunklen Ecken und Winkel zu drücken versuchte. Wenn er sie entdeckte, der Aufpasser, lass es bitte so spät wie möglich sein, damit sie es schaffen würde, hinein-, wieder heraus- und fortzukommen.
    Sie sah das Haus, das letzte in der Straße. Unten war im vorderen Fenster Licht, es schien durch die Risse in dem Tuch, das vor dem Fenster hing. Ein junger Mann, der zu unregelmäßigen Zeiten zu Hause war, wohnte dort; er ging oft spätabends aus und kam in den frühen Morgenstunden zurück. Nirgendwo sonst brannte Licht.
    Wenn der junge Mann in seinem Zimmer war, würde er Musik spielen. Das würde helfen, die Geräusche, wenn Anna die Tür öffnete und die Treppe hinaufging, zu übertönen. Sie streckte sich und spähte zum obersten Stockwerk des Hauses, dem Gaubenfenster, hoch, wo sie ihre Mansarde hatte. Sie erwartete fast, dort Licht zu sehen, ein flackerndes, sich bewegendes Licht … Aber das Fenster war ein dunkles Viereck, und das Geländer der alten Feuerleiter hob sich wie ein Skelett gegen den nächtlichen Himmel ab. Sie kam näher. Direkt vor dem Haus war eine Straßenlaterne, die sie nicht umgehen konnte. Sie hielt den Kopf gesenkt und trat in den Lichtschein. Etwas, das sich rechts von ihr plötzlich bewegte, ließ sie

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