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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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es getan, stimmt's?« Sein Gesichtsausdruck war starr und kalt.
    Sie hatte es nicht geglaubt, aber sie erinnerte sich an den Moment des Zweifelns und spürte, dass sie rot wurde. »Ich dachte … ich wusste nicht, was ich …« Nathans Faust, die sie an der Schläfe traf, ihre Hände suchten nach dem Geländer und griffen ins Leere …
    »Na gut.« Er stand auf. »Also, Roz, vielleicht werde ich wütend auf dich und weiß Gott, wozu ich dann fähig wäre.« Seine Stimme war ruhig und nachdenklich, aber sein Gesicht unbewegt, blass und wütend. Sie wusste aus Erfahrung, dass es sinnlos war, mit ihm zu reden, wenn er in dieser Stimmung war.
    »Warte«, sagte Roz. »Warte.« Aber sie wollte sich nicht entschuldigen. Luke blieb an der Tür stehen. Sie ging in ihr Arbeitszimmer und holte eine der Disketten mit den Kopien von Gemmas Dateien. Als sie zurückkam, stand er noch mit dem ausdruckslosen Gesicht da, die Hand auf der Türklinke. Sie hielt ihm die Diskette hin. »Gemmas Dateien«, sagte sie. »Aus dem Laptop.« Er sah sie verständnislos an, dann nickte er und steckte die Diskette in die Tasche.
    Sie hätte ihn gern daran gehindert, wegzugehen, aber sie wusste nur allzu gut, dass es keinen Sinn hatte. Sie spürte den Schwall kalter Luft, als er die Tür öffnete, und hörte, wie sie sich leise hinter ihm schloss. Kurz danach wurde das Tor zugemacht, der Motor sprang an, und sie hörte den unregelmäßigen Takt des V-Motors im Leerlauf. Dann heulte der Motor auf, ein Wutschrei in der Stille. Sie blieb am Tisch stehen, starrte ihren Kaffee an, und hörte ihn in die Nacht davonfahren.

11
    Hull, Donnerstagvormittag
    Anna wachte auf, und die Sonne schien ihr in die Augen. Die Strahlen fielen durch das Oberlicht über ihrem Kopf auf ihr Gesicht. Hoch oben in der Luft konnte sie die Vögel sehen, die sich ins helle Morgenlicht hinaufschwangen und ihre Kreise drehten. Der Himmel war so blau und klar, dass sie an Frost dachte. Die Couch, auf der sie lag, war klumpig, und die Decke roch staubig, aber die Mansarde war ein Zufluchtsort, ein Raum, der sich abschließen ließ, mit einem hohen Fenster, in das nur die Vögel hereinsehen konnten. Matthew hatte bedauernd gesagt: »Es ist nicht sehr bequem.« Aber es war ein sicheres Versteck, und er hatte ihr endlich neue Hoffnung gegeben.
    Den ganzen Abend hatte sie in dem dunklen Hinterzimmer der Beratungsstelle auf der Couch gelegen, war ein paarmal eingeschlafen, war sich aber die ganze Zeit bewusst, dass hinter der Tür die Arbeit weiterging. Die Schreibmaschine klapperte, sie hörte Stimmen und die Schubladen des Aktenschranks, die aufgezogen und wieder zugeschoben wurden, und dies alles ließ sie nicht vergessen, dass jederzeit jemand durch die Tür kommen und sie finden könnte. Sie hatte Nasims angstvollen Blick gesehen, als sich an der Tür Besuch ankündigte. Eigentlich sollte sie nicht hier sein, das wusste sie. Sie brachte Matthew und Nasim in Gefahr. Sie würde gehen müssen, und dieser Gedanke erfüllte sie mit Schrecken.
    Als es dämmerte und wieder zu regnen anfing, die Tropfen gegen das Fenster trommelten und das Wasser aus einer schadhaften Regenrinne herunterplatschte, war Matthew zurückgekommen. Anna hatte benommen in der Dunkelheit gesessen, und ihre Gedanken waren zu Bildern aus ihrer Kindheit geschweift, in die sie sich immer mehr zurückzog. Vor dem Haus stand ein Baum, eine Buche wie die Bäume, die hoch oben in den Bergwäldern wuchsen. Als sie klein war, hatte ihr Vater ein Seil über einen der Äste geschlungen und ihr eine Schaukel gemacht. Später saß sie mit Krischa auf dem Sitz und schaukelte mit ihr, wobei das kleine Mädchen spitze Schreie ausstieß und lachte. Wenn Krischa ihre speziell angefertigten Schuhe für ihren verkrüppelten Fuß nicht anziehen wollte, warf sie sich schreiend auf den Boden und schlug um sich und … das Bündel lag auf der Schwelle, halb drinnen und halb draußen, ganz klein lag es auf dem Boden, und ein Schuh zeigte auf die Büsche, wo …
    Sie hatte die Augen aufgerissen. Sie lag auf der Couch im Hinterzimmer der Beratungsstelle, und Matthew stand an der Tür und sah sie an. »Anna«, sagte er, »es tut mir Leid. Ich habe dich aufgeweckt.«
    Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte nicht geschlafen und war froh, dass sie aus ihrem Wachtraum gerissen wurde. Matthew sah ernst aus, und sie spürte, wie angespannt und besorgt er war. Sie wusste, dass sie nicht ewig hier bleiben konnte, aber ihr graute vor der

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