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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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sagte Roz. »Und ich habe versucht, Gemmas Bericht aufzuspüren.«
    »Ach, der«, seufzte Joanna. »Gemmas Bericht war komplett, Roz. Ich habe mit der Frau in Hull telefoniert und habe alles überprüft, und ich finde nicht, dass etwas fehlt, was drinstehen sollte. Wenn Gemma sich Gedanken darüber gemacht hat, dann ist sie über ihren Auftrag hinausgegangen, bei dem es nur um eines ging: Woher kommt diese Frau? Gemma hat ihnen eine genauere Ortsangabe gegeben, als sie erwartet hatten.« Sie sah Roz an, ob sie begriff, was sie ihr klar machen wollte. »Man muss in solchen Dingen wirtschaftlich denken. Wir wurden mit der Stellungnahme zu einer Sache beauftragt, und danach wurde die Leistung berechnet. Es gibt immer noch zusätzliche Details, die man auf Grund einer Tonaufnahme herausbekommen kann. Das weißt du ja. Man könnte jahrelang weiteranalysieren. Aber es ist nicht kosteneffektiv. Gemma war noch dabei, dies zu lernen. Aber du solltest es inzwischen wissen. Besonders wenn wir uns als Privatunternehmen etablieren.«
    »Du hast Recht.« Roz fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Es war wichtig, Forschung und Wirtschaftlichkeit auseinander zu halten. In der Forschung verfolgte man Möglichkeiten, die sich unerwartet auftaten, man konnte vielleicht Antworten auf Fragen finden, an die man noch nicht einmal gedacht hatte. Bei der Arbeit für den Markt tat man, was verlangt wurde. Man leistete gute Arbeit, aber mehr nicht. »Ich glaube, das ist eben eines der Dinge, zu denen man sich verpflichtet fühlt. So wie man Blumen zu einer Beerdigung schickt.«
    Joannas Maske der Effizienz verschwand, und ein Zug menschlichen Bedauerns trat an ihre Stelle. »Ich weiß. Und es bedeutet eigentlich gar nichts. Wenn man sich überlegt, was passiert ist … Ein paar Blumen, ein Zeitungsbericht. Leere Gesten.«
    Roz erlebte Joanna selten in einer so nachdenklichen Stimmung. »Was ist eigentlich passiert? Niemand hat es mir gesagt.« Die Presseberichte waren nicht sehr ausführlich gewesen.
    »Ich habe einen Bekannten, der wieder jemanden kennt«, sagte Joanna, »aber er hat mir nicht alle Einzelheiten erzählt. Ich wollte sie gar nicht hören. Wer immer es war, er hat sie zusammengeschlagen und erwürgt.« Roz schloss die Augen. Sie hatte nicht mit einem regelrechten Überfall gerechnet. Sie hatte sich einen spontanen Schlag vorgestellt. »Und dann legte er sie in einer obszönen Stellung in einem Hotel in die Badewanne. Die Polizei musste sie anhand zahnmedizinischer Unterlagen identifizieren, habe ich gehört.« Einen Augenblick war die Anspannung auf Joannas Gesicht zu sehen. »Die Polizei kümmert sich um die Fragen zu Gemmas Bericht«, fügte sie hinzu. »Wir können das aus offensichtlichen Gründen nicht machen. Das Band wurde an Bill Greenhough in York weitergeschickt.« Nach kurzem Schweigen fuhr Joanna mit plötzlich veränderter Stimme fort: »Wir haben Arbeit. Ich habe die Anzeigen aufgesetzt und hätte gerne, dass du sie dir ansiehst, bevor ich sie losschicke.«
    Roz nickte und sah auf den Bildschirm, bis Joanna gegangen war. Ihre Hände zitterten. Gemma! Kein Wunder, dass Luke so wütend gewesen war. Kein Wunder, dass er nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten wollte. Er hatte bestimmt gedacht, dass sie glaubte … Sie sah Dinge vor sich, die sie nicht sehen wollte. Joannas beschönigender Ausdruck ›in einer obszönen Stellung‹ ließ sie an die Bilder denken, die auf ihrem Monitor erschienen waren, Fotos, die über das Netz in die Welt hinausgeschickt wurden, damit jeder sie betrachten konnte … Aber Luke hätte doch nicht … er konnte das doch nicht getan haben.
    Sie nahm den Hörer und wählte seine Nummer. Wieder war der Anrufbeantworter dran. Sie zögerte, dann sagte sie: »Luke? Hier Roz. Bist du da?« Stille, nur ein Rauschen des Bands. »Hör zu, ich habe gerade erfahren … was Gemma passiert ist. Ich wusste das nicht. Als wir miteinander gesprochen haben, wusste ich es nicht. Es tut mir Leid.« Sie wartete, um zu sehen, ob er abnehmen würde, aber nichts geschah. Nach dem, was Joanna gesagt hatte, war er vor nicht sehr langer Zeit zu Hause gewesen. Er musste ausgegangen sein. Sie legte auf.
    Sie wurde unruhig. Das Bedürfnis, die Sache mit Luke zu klären, ließ sie nicht los. Die Arbeit war ihr so gut von der Hand gegangen, aber auf ihrem Bildschirm sah sie plötzlich nur noch eine Reihe von unbedeutenden Symbolen. Sie speicherte alles ab und schloss das Programm. Vielleicht sollte sie Kaffee

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