Nachtfalter
gerade an Eleni. Was sie jetzt wohl macht?«
»Sie putzt bestimmt die Sitzgarnitur oder hilft Sotiris beim Aufhängen des Leuchters.«
Sie blickt mich von der Seite an, weil sie weiß, worauf ich hinauswill. »Lüster nennt man das heutzutage.«
»Na schön. Wie die Lüster, die in Kathedralen hängen.«
»Du bist eben ein Lästermaul. Manchmal frage ich mich, wie du eigentlich über unsere Wohnung sprichst.«
Besser, sie weiß es nicht. Jerry und Anita haben das Knutschen schließlich satt und verharren in einer Umarmung. Sie ähneln den zu Stein gewordenen verbrannten Baumstrünken auf Euböa. Ich beuge mich vor und entnehme Adrianis Tasche das Wörterbuch von Dimitrakos. Ich blättere darin herum und stoße auf den Eintrag
beben = 1. erschüttert werden: die Erde, das Haus bebt; 2. (vom menschlichen Körper) infolge einer starken Erregung, von Kälte, Fieber u. ä. zittern.
Als ich gerade zum Begriff Erdbeben übergehen möchte, weil ich von Erregung, Kälte und Fieber genug habe, höre ich eine Stimme über mir.
»Und was ist mit der Leiche? Was haben Sie mit ihr gemacht?«
Ich hebe meinen Kopf und erblicke Anita. Mein Blick wandert zum Engländer, der mit offenem Mund auf dem Rücken liegt und im Morgenlicht sanft schnarcht.
»Sie ist unten. Wollen Sie sie sehen?«
»Nein danke. Zweimal reicht mir.«
Adriani hebt ihren Blick von der Stickerei hoch, mustert uns, kommt zu dem Schluß, daß eine so gestylte junge Frau sicherlich nicht auf Polizisten steht, und wendet sich wieder ihrer Nadel zu.
Doch Anita läßt nicht locker. Sie wirft einen Blick auf den Engländer, der noch immer mit offenem Mund döst. Dann wendet sie sich wieder mir zu und sieht mich unschlüssig an.
»Sie wollen mir wohl etwas sagen. Nur zu«, meine ich.
»Hugo hat mir am Tag seiner Abreise noch etwas erzählt.«
»Was denn?«
»Daß er den Typen gesehen hat, bevor er umgebracht wurde.«
»Wo?«
»Auf Santorini. Zusammen mit einer jungen Frau.«
»Einer jungen Frau? Was für einer jungen Frau?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls muß sie Griechin gewesen sein, da sie miteinander griechisch sprachen.«
Das kommt ja immer schlimmer. Besser, es wäre eine solo reisende Touristin gewesen, die er auf Santorini aufgegabelt hat. »Und warum hat er das nicht bei seiner Aussage erzählt?«
»Weil man ihn eine Stunde lang warten ließ und er die Schnauze voll hatte. Hätte er die junge Frau erwähnt, dann wäre er von Ihnen noch länger aufgehalten worden, und er hatte es eilig.«
»Wieso denn? Mußte er die Löwen füttern?«
Sie braucht eine halbe Minute, um sich den Zirkusphilosophen mit dem Ohrstecker zu vergegenwärtigen, und bricht in Gelächter aus.
»Ziehen Sie aus seinem Äußeren keine falschen Schlüsse. Er ist total klug«, sagt sie.
»Wenn er klug wäre, hätte er mir von der jungen Frau erzählt. Haben Sie seine Adresse in Deutschland?«
»Nein. So was ist eine reine Urlaubsbekanntschaft. Im Herbst ist die schon wieder vergessen.«
Kann sein, daß sie mir die Adresse nicht preisgibt, um ihm Unannehmlichkeiten zu ersparen. Der Engländer hat seine Augen aufgeschlagen und räkelt sich. Sie läßt mich sitzen und läuft zu ihm, um ihn keine Sekunde lang ihrer Gegenwart zu berauben.
»Meinst du, es handelt sich um eine Liebestragödie?« fragt Adriani.
So viele Morde geschehen tagtäglich in Athen – Fixer, die sich wegen ein bißchen Heroin ein Messer zwischen die Rippen jagen, Albaner, die wegen eines schmutzigen Taschentuchs zum Mörder werden, russische Mafiosi, die sich wegen eines Datsun mit abgelaufenem T ü V die Köpfe einschlagen, und Adriani glaubt immer noch, daß alle Verbrechen aus Leidenschaft verübt werden. Durch eine heftige innere Erregung sozusagen, die Dimitrakos durch das Lemma Affekt wiedergeben würde.
»Klar. Sie hat ihn erwürgt und dann ausgezogen, um die Kleider als Souvenir zu behalten. Dann hat sie Hacke und Schaufel gepackt, ein Loch gegraben und ihn verscharrt.«
»Wieso denn nicht? Kommt dir das so abwegig vor?«
»Was weiß ich. Dein TV-Bulle jedenfalls würde es ganz und gar nicht abwegig finden.«
Ich spiele dabei auf den Kommissar aus einer Fernsehserie an, die sie ausnahmslos jeden Nachmittag verfolgt.
»Das gucke ich nicht mehr«, sagt sie. »Und ›Schön und reich‹ auch nicht. Du kannst dir deine spitzen Bemerkungen sparen.«
Ich bin überrascht, doch ich lasse mir nichts anmerken. »Um so besser. Du hast immerhin drei Jahre gebraucht, um draufzukommen, daß er nichts
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