Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
Vom Netzwerk:
treten alle zusammen aus dem Büro. Sie kehren in ihr Zimmer zurück, und ich nehme den Fahrstuhl, um mich in die fünfte Etage zu Gikas, meinem Chef, zu begeben.
    Koula, das Fotomodell, das sich bei ihm als Sekretärin verdingt hat, schnellt aus ihrem Stuhl hoch, sobald sie mich erblickt.
    »Nein, so ein Pech! Da fahren Sie nach zwei Jahren zum ersten Mal in die Ferien, und dann ein Erdbeben!«
    »Reden wir lieber nicht davon«, sage ich und nehme die betretene Miene an, die man von einem erwartet, der seinen Urlaub gezwungenermaßen unterbrechen mußte.
    »Das liegt am bösen Blick. Jemand wünscht Ihnen nichts Gutes, darüber müssen Sie sich klar sein.«
    »Wer sollte mir denn Böses wünschen, Koula? Der Kriminaldirektor? Ausgeschlossen, der neidet mir meinen Urlaub nicht, der ist ja selber ständig in den Ferien.«
    Sie schmunzelt verschwörerisch, wie jedes Mal, wenn ich etwas zu Gikas’ Ungunsten von mir gebe.
    »Ich habe noch eine Überraschung für Sie.« Sie öffnet die oberste Lade ihres Schreibtisches und holt ein Kästchen hervor. Auf dem Deckel ist ein mit einem Pfeil durchbohrtes Herzchen aufgemalt. Ich mache ihn auf und erblicke glacierte Mandeln und Pistazien, wie sie bei Hochzeiten verteilt werden.
    »Sie werden doch nicht heiraten, oder?« frage ich mit Unschuldsmiene.
    »Nein, aber mich verloben. Besser gesagt, ich habe mich gerade verlobt.« Und sie streckt mir stolzgeschwellt den Verlobungsring an ihrer linken Hand entgegen.
    »Bravo, Koula. Herzlichen Glückwunsch! Und wer ist der Glückliche? Ein Kollege etwa?«
    »Um Himmels willen, das fehlte mir gerade noch!« meint sie aufgebracht. »Polizistin bin ich nur geworden, um einen sicheren Posten zu ergattern, aber zum Heiraten suche ich mir doch keinen Bullen aus. Mein Verlobter ist Bauunternehmer, er hat ein Ingenieurbüro in Dionysos.«
    Sieh mal einer an, denke ich mir. Tiefer kann man nicht sinken. Die Bauunternehmer in Dionysos sind bekannt dafür, daß sie Hütten ohne Baugenehmigung hochziehen.
    »Alles Gute für die Hochzeit.«
    Ich tätschle ihr freundschaftlich die Schulter und verschwinde in Gikas’ Büro, bevor sie auf die Idee kommt, mich zum Trauzeugen zu küren. Ich schließe die Tür hinter mir, und meine Füße versinken im Teppichboden. Gikas sitzt mit dem Rücken zu mir am Fenster und führt ein Telefongespräch. Er dreht sich um und blickt mich an. Sein Schreibtisch ist oval und an die drei Meter lang. Er erinnert an eine Hotelrezeption, weil an seinem westlichen Ende eine griechische, an seinem östlichen eine amerikanische und im Südosten eine Flagge der EU aufgestellt sind. Die zentrale Ebene ist eine Wüstenlandschaft, da niemals ein Papier auf seinem Schreibtisch liegt.
    »Was ist mit der Leiche, die Sie angeschleppt haben?« fragt er, statt mich zu begrüßen.
    Keine Frage, wie es mir bei dem Erdbeben ergangen ist, noch, wie es meiner Frau geht, noch ein lobendes Wort darüber, daß ich meinen Urlaub abgebrochen habe, kein Sterbenswörtchen.
    »Ich habe sie an Markidis zur Autopsie weitergeleitet.«
    »Schon irgendeine Erkenntnis?«
    »Das Allerneuste ist, daß wir sie nicht an den Fingerabdrücken identifizieren können. Man hat die Fingerspitzen durch Verbrennen unkenntlich gemacht.«
    Was er hört, gefällt ihm ganz und gar nicht, und wie jedes Mal, wenn ihm etwas nicht paßt, legt er sich mit seinem Gegenüber an.
    »Warum war Ihnen das nicht schon früher aufgefallen? Sie haben sie doch drei Tage lang auf der Insel in Ihrer Obhut gehabt.«
    »Sie steckte doch in der Erde, und ich habe sie nicht angerührt. Ich wollte sie Markidis so überbringen, wie wir sie vorgefunden haben.«
    Dann erzähle ich ihm von dem Zirkusphilosophen, der eine junge Frau mit dem Unbekannten zusammen gesehen hatte. »Ich werde einen Funkspruch an die deutsche Polizei schicken, um eine zusätzliche Zeugenaussage anzufordern«, füge ich hinzu.
    »Tun Sie das. Und ich werde mich mit Hartmann in Verbindung setzen, um die Sache zu beschleunigen.« Er hebt den Hörer ab. »Rufen Sie Hartmann in München an«, sagt er zu Koula.
    Ich nehme an, daß dieser Hartmann ein Berufskollege bei der deutschen Polizei ist, eine dieser Bekanntschaften, deren er sich dann und wann brüsten kann. Da er ein Semester zur Fortbildung beim FBI war, hat er sich zum Experten für internationale Beziehungen aufgeschwungen. Die Fähnchen auf seinem Schreibtisch dienen dazu, auch unbedarfte Zeitgenossen darauf hinzuweisen. Sobald es irgendeine Dienstreise ins

Weitere Kostenlose Bücher