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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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vernahm. 
    Auf dem Bürgersteig stieß man ihn an; er dachte: ›Ich werde mich nicht erbosen. Ich bin wie ein Vater, der ein krankes Kind daheim hat und ruhig durch die Menge geht. Er trägt die tiefe Stille seines Hauses in sich.‹ 
    Er hob den Blick zu den Menschen. Er versuchte diejenigen unter ihnen zu erkennen, die ihre Erfindung oder ihre Liebe still hier spazierenführten, und die Abgeschiedenheit der Leuchtturmwächter kam ihm in den Sinn.
    Die Stille der Büros tat ihm wohl. Er durchschritt sie langsam, eines nach dem andern, und sein Schritt hallte einsam wider. Die Schreibmaschinen schliefen unter den Deckeln. Die großen Wandschränke mit den wohlgeordneten Aktenstößen waren geschlossen. Zehn Jahre Erfahrung und Arbeit. Der Gedanke kam ihm, er ginge hier durch die Keller einer Bank, wo die Reichtümer ruhen. Aber in jedem dieser Schränke häufte sich etwas Besseres als Gold: eine lebendige Kraft. Eine lebendige Kraft, jetzt schlummernd, wie das Gold in den Banken.
    Irgendwo saß jetzt der einzige Schreiber vom Nachtdienst. Ein Mensch arbeitete irgendwo, auf daß das Leben nicht unterbrochen wurde, der Wille nicht unterbrochen wurde, und so von Station zu Station, auf daß, von Toulouse bis Buenos Aires, die Kette niemals riß.
    Und irgendwo kämpften sich jetzt die beiden Flugzeuge durch das Dunkel. Ein Nachtflug zog sich hin wie eine Krankheit, bei der man Nachtwache halten mußte. Man mußte diesen Menschen beistehen, die da mit Händen und Knien, Brust gegen Brust, mit der Finsternis rangen und nichts mehr wahrnahmen, nichts mehr wahrnahmen als ein wankendes, wechselndes, unsichtbares Etwas, daraus man sich kraft seiner blinden Arme herausziehen mußte wie aus einem Meer. Welche erschütternden Berichte manchmal: »Ich habe meine Hände beleuchtet, um sie zu sehen .« Nichts als zwei lebendige Hände, herausentwickelt aus dem Schwarz in rotem Dunkelkammerlicht. Das einzige, das blieb von der Welt und das man retten mußte.
    Riviere öffnete die Tür zum Betriebsbüro. Eine einzige Lampe warf einen schrägen Lichtkegel. Das Klicken einer einzigen Schreibmaschine regte sich einsam in der Stille. Von Zeit zu Zeit läutete das Telephon; jedesmal ein wiederholter, hartnäckiger Ruf, der traurig und bedrohlich durch das öde Zimmer schrillte. Dann erhob sich der Schreiber vom Dienst und schritt aus seinem Lichtkreis zu dem Apparat hinüber. Er nahm den Hörer ab, und die unsichtbare Bedrohung schwand: ein ruhiges Gespräch klang halblaut aus dem Schatten. Dann kam der Mann gleichgültig wieder an seinen Schreibtisch zurück, das Gesicht ausdruckslos von Einsamkeit und Müdigkeit.
    Bedrohlich ein Anruf aus der Nacht draußen, wenn zwei Flugzeuge unterwegs sind. Riviere dachte an die Telegramme, die in den Kreis der Familie unterm Schein der Abendlampe eindringen, dann an das Unheil, das ein paar endlose Sekunden lang noch ein Geheimnis im Gesicht des Vaters bleibt. Kraftlose Welle vorerst noch, so still, so fern vom ersten Schrei, dessen fernes Echo er jedesmal schon in diesem einsamen Aufschrillen zu vernehmen meinte. Und jedesmal, wenn der Mann da langsam aus dem Schatten wieder in seinen Lampenschein hervorkam wie ein Taucher, schienen ihm seine Bewegungen schwer von geheimem Wissen.
    »Bleiben Sie. Ich gehe.«
    Riviere hob den Hörer ab, vernahm das leise Brausen der Welt. »Hier Riviere.«
    Schwaches Getöse, dann eine Stimme:
    »Ich gebe Ihnen die Funkstelle.«
    Wieder Leitungsgeräusch, dann eine andere Stimme:
    »Hier Funkstelle. Wir geben Ihnen die Telegramme.«
    Riviere schrieb nach, nickte: »Gut . Gut .«
    Nichts von Bedeutung. Die üblichen Nachrichten. Rio de Janeiro verlangte eine Auskunft, Montevideo gab Wetterberichte, Mendoza brauchte Material. Die vertrauten Haushaltsfragen. 
    »Und die Kuriere?«
    »Das Wetter ist gewittrig. Wir können die Flugzeuge nicht hören.«
    »Gut.«
    Riviere saß einen Augenblick in Gedanken. Hier war die Nacht so rein, die Sterne leuchteten, aber die Funker spürten schon darin den Hauch ferner Gewitter. 
    »Ich komme dann wieder.«
    Riviere erhob sich. Der Schreiber trat an ihn heran.
    »Die Dienstanweisungen zur Unterschrift,
    Herr Direktor …«
    »Gut.«
    Riviere überraschte sich bei einem warmen, freundschaftlichen Gefühl für diesen Mann, den auch die Last der Nacht drückte. ›Ein Kampfgefährten dachte er. ›Er wird sicher nie ahnen, wie sehr uns diese Nachtwache verbindet.‹
IX
    Als Riviere, einen Stoß Akten im Arm, in sein Privatbüro

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