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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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verantwortlich für etwas Großes, etwas wie das Schicksal einer ganzen Stadt. Und ihr Herz sträubte sich dagegen. Dieser einzige von all den Millionen ringsum war zu diesem seltsamen Opfer ausersehen. Ihr zu Leide. Er entglitt auch ihrer Fürsorge. Sie hatte ihn gespeist, bewacht, geliebkost, nicht für sich selbst, sondern für die Nacht da draußen, die ihn ihr nun nahm. Für Kämpfe, Ängste, Siege, von denen sie nichts wußte. Diese Hände waren hier nur für eine kurze Weile zärtlich gezähmt, ihr wahres Tun lag da draußen, fern von ihr. Sie kannte das Lächeln dieses Mannes, seine liebevollen Zartheiten, aber nicht seine zornige Energie in Sturm und Wetter. Sie umschlang ihn mit Banden der Liebe, mit Musik, mit Blumen; aber jedesmal in der Stunde des Au&ruchs fielen diese Bande von ihm ab, ohne daß es ihm leid darum schien.
    Er schlug die Augen auf.
    »Wie spät ist es?«
    »Mitternacht.«
    »Was ist für Wetter?«
    »Ich weiß nicht .«
    Er stand auf, kam langsam, sich reckend, an das Fenster.
    »Sehr kalt wird es nicht sein. Wo kommt der Wind her?«
    »Wie soll ich das wissen .« Er beugte sich hinaus:
    »Süden. Sehr gut. Das hält mindestens bis Brasilien vor.«
    Er schaute befriedigt nach dem Mond. Alles prächtig. Dann senkte er den Blick auf die Stadt.
    Er dachte nicht an ihre erleuchtete Geborgenheit und Wärme. Er sah schon den Flugsand ihrer Lichter unter sich verstieben. »Woran denkst du?«
    Er dachte an den Nebel, der möglicherweise von Porto Alegre her auftommen würde.
    ›Aber ich habe meine Taktik. Ich weiß, wo ich ausbiegen kann.‹
    Er stand immer noch hinausgebeugt. Er holte tief Atem, wie ein nackter Schwimmer, ehe er sich ins Meer stürzt.
    »Du bist nicht mal ein bißchen traurig. Auf wie viele Tage gehst du weg?« 
    Acht, zehn Tage. Er wußte es nicht. Traurig, nein; warum? Diese Steppen, diese Städte, diese Gebirge … man zog aus, frei, sie zu erobern. Und in kaum einer Stunde würde er Buenos Aires unter sich haben, wie etwas, das einem gehört und das man wegwirft. 
    Er lächelte:
    »Die Stadt … von der bin ich schnell weg. Schön, in der Nacht zu starten. Man zieht den Gashebel, Gesicht nach Süden, und zehn Sekunden später hat man die ganze Landschaft umgedreht, Gesicht nach Norden. Die ganze Stadt ist nur noch wie ein Meeresgrund.«
    Sie wollte reden von alledem, was man aufgibt bei dem »erobern«.
    »Du liebst dein Heim nicht?«
    »Ich liebe mein Heim .«
    Aber sie fühlte, daß er schon unterwegs war. Die breiten Schultern stemmten sich schon gegen die Nacht.
    Sie deutete auf den Himmel.
    »Du hast schönes Wetter, dein Weg ist mit Sternen bestreut.«
    Er lachte:
    »Ja.«
    Sie legte die Hand auf seine Schulter. Sie fühlte sich zärtlich bewegt, als sie die Wärme dieses Körpers spürte, den sie der Gefahr überliefern sollte.
    »Du bist sehr stark, aber sei vorsichtig!« 
    »Vorsichtig, natürlich .« 
    Er lachte abermals.
    Er kleidete sich an. Er suchte sich die rauhesten Stoffe heraus, das schwerste Leder, zog sich an wie ein Bauer für dieses nächtliche Fest. Je schwerer er wurde, um so mehr bewunderte sie ihn. Sie selber hakte ihm den Gürtel zu, zog ihm die Stiefel an. »Die Stiefel drücken mich.« »Hier sind die andern.« »Such mir eine Litze für meine Notlampe.« Sie besichtigte ihn, half nach, wo es noch fehlte an der Rüstung. Alles saß gut. »Du bist sehr schön.«
    Sie sah, wie er sich sorgfältig kämmte. »Ist das für die Sterne?« »Nur, um mich nicht alt zu fühlen.« »Ich bin eifersüchtig .«
    Er lachte wieder, küßte sie und drückte sie an seine Lederbrust. Dann hob er sie in den Armen auf wie ein kleines Mädchen und trug sie, immer lachend, ins Bett. »Schlaf!«
    Dann, die Haustür hinter sich schließend, trat er unter das unkenntliche Nachtvolk hinaus. Sie lag still. Sie betrachtete traurig die Blumen, die Bücher, all die Behaglichkeit, die für ihn nun bald nur noch wie auf einem Meeresgrund lag.
XI
    Riviere empfängt ihn:
    »Sie haben mir da einen Unfug gemacht bei Ihrem letzten Flug. Sie sind umgedreht, obwohl die Wetterberichte gut waren: Sie hätten ruhig weiterfliegen können. Sie haben Angst gehabt?« 
    Der Pilot schweigt verdutzt. Er reibt sich langsam die Hände. Dann hebt er den Kopf und schaut Riviere in die Augen: 
    »Jawohl.«
    Riviere fühlt im Grunde seines Herzens Mitleid mit diesem so tapferen Burschen, der Angst gehabt hat. Der Pilot versucht sich zu rechtfertigen.
    »Ich konnte nichts mehr sehen. Gewiß,

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