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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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wie um sich zu falten. Man würde nur zu sagen brauchen: »Also gut, gut, bleiben Sie.« Das Freuderieseln, das durch die alten Hände gehen würde. Ja, diese Freude, die - nicht aus dem Gesicht - aber aus diesen alten Handwerkerhänden sprechen würde, erschien ihm als das Schönste, das es geben könnte auf der Welt. ›Soll ich das Papier zerreißen?‹ Und die Familie des Alten, die Heimkehr am Abend, der bescheidene Stolz: 
    »Also sie behalten dich?«
    Na ja! Freilich! Ich hab’ doch das erste Flugzeug in Argentinien montiert!« 
    Und die »Grünschnäbel«, die nicht mehr lachen würden, jetzt, wo der Alte sich seine Würde wiedererobert hatte . 
    ›Zerreißen?‹
    Das Telephon läutete; Riviere nahm den Hörer ab.
    Eine lange Weile, dann das Tiefe, Hallende von Wind und Raum um menschliche Stimmen. 
    Endlich sprach man: 
    »Hier Flugplatz. Wer dort?« 
    »Riviere.«
    »Herr Direktor, 650 ist im Anmarsch.« 
    »Gut.«
    »Alles bereit jetzt, aber wir mußten im letzten Augenblick das elektrische Licht reparieren, die Verbindungen waren defekt.« 
    »Gut. Wer hat die Anlage montiert?« 
    »Das werden wir feststellen. Mit Ihrer Erlaubnis werden wir den Betreffenden bestrafen: eine Lichtpanne an Bord, das könnte schlimm werden!« 
    »Allerdings.«
    Riviere dachte: ›Wenn man das Übel nicht ausreißt, wo man es antriffi, gibt es Pannen: es wäre ein Verbrechen, es durchgehen zu lassen, wenn man ihm zufällig mal auf eine Spur kommt: Roblet geht.‹
    Der Schreiber, der nichts gesehen hat, tippt immer noch an seiner Maschine. 
    »Das ist?«
    »Die Halbmonatsabrechnung.« 
    »Warum noch nicht fertig?« 
    »Ich …«
    »Werden wir ja sehen.«
    Seltsam, wie das Ungewollte, Zerstörende immer wieder die Oberhand gewinnt über das Gewollte, Geschaffene. Gleichwie getrieben von einer großen verborgenen Macht. Derselben, die die Urwälder hochtreibt und die um alle großen Werke wuchert, drängt, quillt von allen Seiten. Riviere mußte an die Tempel denken, die von unscheinbaren Schlingpflanzen zersprengt und gestürzt werden.
    Ein großes Werk …
    ›Ich habe‹, wiederholte er sich, um sich zu beschwichtigen, ›alle diese Menschen lieb. Ich bekämpfe nicht sie. Sondern das, was sich durch sie einschleicht…‹
    Sein Herz schlug in schnellen Schlägen, die ihn quälten.
    ›Ich weiß nicht, ob das, was ich getan habe, gut ist. Ich weiß nichts Gültiges über den Wert des menschlichen Lebens oder über den Wert der Gerechtigkeit. Ich weiß auch nicht, was die Freude eines Menschen wert ist. Oder eine Hand, die zittert. Oder Mitleid, oder Güte …‹ 
    Er träumte:
    ›Das Leben ist so voller Widersprüche, man setzt sich mit ihm auseinander, so gut man kann . Aber fortdauern, schöpferisch wirken, seinen vergänglichen Körper austauschen gegen Bleibendes …‹ 
    Riviere besann sich, läutete dann. 
    »Rufen Sie den Piloten des Europakuriers an. Er soll sich vor dem Start bei mir melden.« 
    Er dachte: 
    ›Der Mann darf mir nicht ohne Not beidrehen. Wenn ich meine Leute nicht zurechtrüttle, lassen sie sich nervös machen durch die Nacht.‹
X
    Die Frau des Piloten, durch das Telephon aufgeweckt, betrachtete ihren Mann und dachte: 
    ›Ich laß ihn noch ein bißchen schlafen.‹ 
    Sie bewunderte diese nackte, klargewölbte Brust, sie mußte an ein schönes Schiff denken. Er lag hier im Bett geborgen wie in einem Hafen, und damit nichts seinen Schlummer störe, strich sie da und dort eine Falte fort, einen Schatten, eine Woge; glättete dieses Bett, wie eine Göttin mit schützender Hand das Meer.
    Sie erhob sich, öffnete das Fenster, ließ sich den Wind ins Gesicht wehen. Von diesem Zimmer überblickte man Buenos Aires. Aus einem Nachbarhaus, wo getanzt wurde, drang Musik, die der Wind hertrug, denn es war die Stunde des Vergnügens und der Ruhe. Diese Stadt hielt die Menschen in ihren hunderttausend Kasematten geborgen; alles war ruhig und sicher; aber es schien dieser jungen Frau, als ob sogleich der Ruf ertönen würde: »Zu den Waffen!« und als ob nur ein einziger Mann, der ihrige, sich erheben würde. Noch lag er ruhig, aber es war die bedrohte Ruhe der Reserven, die gleich in die Schlacht müssen. Diese schlafende Stadt beschützte ihn nicht davor: ihre Lichter würden ihm bald nur wie eine Handvoll blitzender Staub sein, wenn er sich, junger Gott, darüber erhob. Sie betrachtete seine kräftigen Arme, die in einer Stunde das Schicksal des Europakuriers zu tragen haben würden,

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