Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
bisschen erstaunt, dass Sie ausgerechnet dieses Restaurant vorgeschlagen haben.»
Donatella war blass und kaum geschminkt, in der sanften Beleuchtung wirkte sie ganz jung. Jetzt wandte sie den Kopf und ließ ihren Blick durch den verwinkelten Raum wandern.
«Ich war hier auch schon einige Male», erwiderte sie. «Setzen wir uns doch. Ich hoffe, Sie haben Zeit.»
«Ich habe Zeit.»
«Und ich habe eine Flasche Brunello bestellt, mögen Sie den?»
Laura nickte. Sie versuchte zu begreifen, was hier geschah. Brunello war ihr Lieblingswein, das
Aglio e Olio
ihr Lieblingslokal in Siena. All das konnte Donatella nicht wissen.
«Weshalb sind Sie ausgerechnet in Siena, Commissaria?»
«Ein Freund ist krank geworden.»
«Ach, Sie sind nicht Benjamins wegen hier? Oder meinetwegen?»
«Nein.»
«Wie seltsam. Ich war ganz sicher, dass Sie deshalb hier sind.»
Donatella stellt die Fragen, dachte Laura. Auch gut. Fragen sind manchmal sehr aufschlussreich.
«Was wollen wir essen?» Donatella winkte Leonardo Tommasini, der sogleich herbeieilte, diskret und zurückhaltend diesmal. Er empfahl Kaninchenbraten mit Pflaumensoße und Rosmarinkartoffeln.
«Ganz frisch, Signore, köstlich!»
«Dann nehmen wir das, einverstanden?» Donatella sah Laura fragend an.
«Es klingt gut.»
Seltsam, dieses Treffen fühlte sich nicht an wie das zwischen einer Mordverdächtigen und einer Kommissarin.
Dann essen wir eben, dachte Laura, wiederholen wir auf einer anderen Ebene, was wir offensichtlich beide hier erlebt haben.
Leonardo hatte ihre Gläser gefüllt, und nun hob Donatella das ihre.
«Auf unser Gespräch.»
Laura nickte ihr zu und hob ebenfalls ihr Glas.
«Auf unser Gespräch!»
«Ist Ihr Freund, der kranke, ist das ein naher Freund?»
«Ja.»
«Jemand, den Sie lieben, Commissaria?»
«Warum fragen Sie das? Was hat das mit unserem Gespräch zu tun?»
Donatella biss sich auf die Unterlippe.
«Ah, nichts, oder vielleicht doch etwas. Ich dachte nur, dass Sie vielleicht besser verstehen könnten, was mir zugestoßen ist. Oder vielleicht auch, wo ich mich hineinbegeben habe.»
«Sie waren mit Benjamin Sutton in diesem Restaurant, nicht wahr?»
«Ja, natürlich, und Sie mit Ihrem Freund, oder?»
«Weshalb sollte das von Bedeutung sein, und wie kommen Sie überhaupt auf diese Idee?»
«Ich habe Sie beobachtet, die Art, wie der Wirt Sie begrüßte …»
«Ach, und daraus schließen Sie eine ganze Geschichte?»
«Ich finde es hilfreich. Es ist Zufall und es ist hilfreich. Sehen Sie, ich bin in einer ziemlich unangenehmen Situation. Ich werde erpresst und stehe unter Mordverdacht. Ich wünsche mir, dass Sie mich verstehen und dass Sie mir glauben. Ich habe mich damals in Siena auf eine Weise verliebt, die unausweichlich war. Ich wollte es nicht, aber ich konnte nicht entkommen – wollte irgendwann auch nicht mehr entkommen, weil ich endlich wieder meine eigenen Bedürfnisse spürte. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen war, Commissaria, und wen Sie hier in Siena getroffen haben. Aber vielleicht haben Sie etwas Ähnliches empfunden.»
«Möglich.»
Leonardo stellte einen Korb mit knusprigem Weißbrot auf den Tisch und ein kleines Kännchen mit Olivenöl.
«Sie waren mit Ihrem Freund in diesem Lokal, nicht wahr?» Donatella ließ Laura nicht aus den Augen.
«Ist das wichtig?»
«Nein. Ja, es ist wichtig! Ich war hier mit Benjamin, und wenn ich zurückdenke, dann ist es wie Sterben. Jeder Nerv meines Körpers schmerzt, wenn ich daran denke, und trotzdem bin ich froh, dass ich es erlebt habe. Denn damals war es ungebrochene Wirklichkeit. Ich war noch nicht die gedemütigte, lächerliche Frau, zu der mich diese Erpressung gemacht hat.»
«Ich empfinde Sie nicht als gedemütigt oder lächerlich, Signora Cipriani.»
«Das ist nett von Ihnen, ändert aber nichts daran, dass ich mich so empfinde. Es gibt nur noch eine winzige Hoffnung – die Hoffnung, dass Benjamin nichts mit den Erpressern zu tun hatte. Können Sie verstehen, dass ich mich daran klammere? Ich habe vorgestern einen neuen Erpresserbrief bekommen und gestern einen Anruf. Sie sind also noch da.»
«Könnte ich den Brief sehen?»
«Ah, die Ermittlerin. Ja, Sie können ihn sehen, aber später. Ich wollte Ihnen nämlich noch etwas ganz anderes erzählen. Zuerst eine Frage: Lieben Sie Ihren Sieneser Freund so sehr … oder besser: ist es Ihnen so wichtig, leidenschaftlich von ihm geliebt zu werden, dass ein Verrat Sie vernichten würde? Dass Sie zu allem
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