Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
offensichtlich ein Sprengstoffanschlag verübt worden. Der Bauer, der in der Nähe wohnt, Bellagamba heißt er, der hat gerade in der Questura angerufen, weil er eine Explosion gehört hat. Wir fahren jetzt hin! Ich dachte nur, dass Sie vielleicht mitkommen wollen …»
«Ja, natürlich!»
«Wir holen Sie ab! In vier Minuten!»
Sie hatte Mühe, ihre Stiefel anzuziehen, rannte aufs Klo, bürstete ihr Haar, warf ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht und versuchte Isabella di Tremonti zu erreichen, doch deren Handy war abgeschaltet. Weshalb schaltete sie ihr Handy aus? Beunruhigt eilte Laura die vielen Stufen hinunter zum Hauseingang, wo Tommasini in diesem Augenblick das Einsatzfahrzeug abbremste. D’Annunzio riss die Wagentür auf, Laura sprang hinein, und sofort gab Tommasini Gas. Im Wagen saßen fünf Polizisten, zwei in Uniform, die andern in Zivil. Laura kannte nur Tommasini und D’Annunzio.
«Sind noch mehr unterwegs?», fragte sie.
«Jede Menge. Zumal unser kluger D’Annunzio den schönen Kellner identifiziert hat. Er ist auch aus Neapel, genau wie dieser Stretto. Aber er ist von einem anderen Clan. Genau von dem nämlich, mit dem Signora Salino-Remus entfernt verwandt ist. Auch das hat unser kluger Kleiner herausgefunden – am Computer, man glaubt es kaum!» Tommasini schlug mit der Faust aufs Lenkrad. Seine Kollegen lachten.
«Deshalb nehmen wir an, dass der Stretto-Clan sein verdienstvolles Mitglied, das auf so unrühmliche Weise umgekommen ist, rächen will. Den Anfang macht möglicherweise der Anschlag, den Bellagamba gehört hat. Es kann sich dabei aber auch um eine Selbstschussanlage handeln, die seine Nachbarn gegen Bellagambas Schweine aufgestellt haben.» Wieder brüllten alle vor Lachen. Nur D’Annunzio und Laura nicht.
«Auffällig ist nur, dass der Schweinezüchter Bellagamba erst den toten Stretto, dann den möglichen Anschlag gemeldet hat. Mehr wissen wir nicht, Signora Commissaria.»
«Klingt interessant. Vielleicht waren es ja die Schweine», murmelte Laura.
Wieder lachten alle, und Laura fühlte sich, als wäre sie in einen Betriebsausflug der Questura geraten. In einen sehr männlichen Ausflug – sie fragte sich, wo eigentlich die weiblichen Polizisten geblieben waren.
«Wollen Sie eine Waffe, Signora Laura? Ich hab Ihnen eine mitgebracht.» D’Annunzio hielt ihr irgendwas Dunkles hin.
«Ja, vielleicht. Danke.» Laura steckte die Pistole in ihre Jackentasche.
Tommasini fuhr schnell durch die helle Mondnacht mit ihren schwarzen Schatten und weißen Nebelbänken, die sich auf dem Grund der Täler festhielten. Überall blinkten blaue Lichter in der Dunkelheit, als sie vor dem Tor zum
Vita divina
ankamen, einem Tor, das nicht mehr vorhanden war, dessen verbogene Eisenteile am Boden herumlagen. Die Detonation war offensichtlich so heftig gewesen, dass ein flacher Krater entstanden war.
«Che cos’ è successo? Was ist los?», rief Tommasini einem der blankgestiefelten Carabinieri zu, dessen Schulterklappen, goldene Knöpfe und Tressen im Licht der Autoscheinwerfer blitzten.
«Das Tor wurde gesprengt. Aber die Besitzer haben sich nicht gerührt. Die benehmen sich, als hätten sie nichts gemerkt. Wir sind auch erst vor ein paar Minuten gekommen. Es ist komisch! Die haben mit Sicherheit eine Alarmanlage und eine Kamera hier installiert. Dann müssen die das gemerkt haben, auch wenn das Anwesen zwei Kilometer entfernt liegt. Es hat eine Riesendetonation gegeben. Wenn Signor Bellagamba davon aus dem Bett gefallen ist, müssen die da oben es auch gehört haben!»
«Dann machen wir uns doch mal auf den Weg nach oben. Das Tor ist ja jetzt offen, und ich habe einen Haftbefehl gegen einen gewissen Cavazzoni, Ennio, der sich vermutlich da oben aufhält. Außerdem für eine Signora Salino-Remus wegen Verbindung zur Mafia und des Verdachts auf illegalen Geldverleih.»
Warum hat er mir nicht gesagt, dass er Haftbefehle erwirkt hat?, dachte Laura. Klar, ich ermittle ja offiziell nicht. Aber ich habe die verdammten Fotos besorgt und die Pisellis dazu gebracht, dass sie diesen Ennio Cavazzoni identifiziert haben. Immerhin haben sie mich mitgenommen und mir sogar eine Waffe gegeben.
«Wäre gut, wenn Sie sich im Hintergrund halten, Signora Laura», sagte Tommasini auf der kurvenreichen Fahrt zum
Vita divina
. «Wahrscheinlich wird Vice-Commissario Lana bald auftauchen, und der wird es nicht mögen, dass Sie hier sind, auch wenn er so getan hat, als gehörten Sie zum Team.»
«Haben Sie
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