Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
täuschen. Was Sie sagen, ist einfach nicht fair. Ich möchte mich nicht länger mit Ihnen auseinandersetzen. Ich will Benjamin noch einmal sehen, dann fliege ich nach Mailand zurück.»
Eine Weile saßen Laura und Donatella schweigend. Der Kellner wischte die hellbraune Lache vom Tisch und fragte, ob er einen neuen Latte macchiato bringen solle. Als er keine Antwort erhielt, zuckte er die Achseln und ging.
Laura hätte Donatella gern nach dem Gedicht von Petronius gefragt, doch es erschien ihr in dieser Situation zu vertraulich. Sie waren sich nicht nahe, Donatellas Feindseligkeit war deutlich zu spüren.
«Bene, fahren wir. Mein Wagen steht draußen, ich muss nur kurz telefonieren.» Laura stand auf, ging bis ans Ende des Restaurants und wählte Baumanns Nummer erst, als sie außer Hörweite war. Er meldete sich sofort.
«Ich fahre jetzt zur Gerichtsmedizin», sagte sie. «Gib uns eine Stunde, ehe du mit Suttons Frau kommst.»
«Okay, eine Stunde.»
«Wie läuft’s?»
«Bisschen mühsam. Mehr als eine Stunde bring ich nicht mehr.»
«Frag sie mal, ob sie Italien mag.»
«Wieso denn das?»
«Einfach so. Ist mir gerade eingefallen.»
«Ich bin sicher, dass es auch Menschen gibt, die Italien nicht mögen!»
«Ich auch. Ciao!»
Obwohl Laura nicht besonders guter Laune war, musste sie lächeln. Sie liebte absurde Dialoge und Menschen, mit denen man solche führen konnte.
Kommissar Baumann gehörte dazu, Angelo Guerrini, Lauras Vater … sogar Luca und Sofia hatten ein Talent dazu.
«Ich habe nur unseren Besuch angekündigt», sagte sie, als sie zu Donatella Cipriani zurückkehrte.
NACHDEM ER dreimal in den falschen Feldweg eingebogen war, fand Commissario Guerrini zu seinem eigenen Erstaunen und ganz ohne Navigationsgerät die Stelle, an der vor zwei Tagen der Tote gelegen hatte. Nur ein paar zerrissene, weißrote Absperrbänder, die im Wind flatterten, und Stiefelabdrücke auf der feuchten Erde erinnerten daran, dass hier etwas Ungewöhnliches geschehen war.
Guerrini stieg aus dem Wagen, kletterte und rutschte zwischen den alten Steineichen den Hang hinunter. Es war ein merkwürdiger Ort. Eine ganze Reihe alter Eichen reckte wie verzweifelt dicke und dünne Wurzeln in die Luft, weil der Hang unter ihnen weggebröckelt war. Auf diese Weise hatte sich, parallel zum Hang, ein langer Hohlraum gebildet. Langsam ging Guerrini an dieser Höhlung entlang, bückte sich hin und wieder, hob zwei dicke Walnüsse auf, die offensichtlich von einem Nussbaum oben an der Straße herabgerollt waren, und schaute hinaus auf die sanften Hügel und die silbernen Olivenhaine. Unter sich konnte er das Dach von Bellagambas Hof sehen; er hörte sogar den Hund bellen.
Dann wandte er sich nach links und betrachtete den langgestreckten Hang, auf dessen Kuppe die herrschaftlichen Gebäude des Anwesens mit dem seltsamen Namen
Vita divina
aufragten. Ein breiter, milchiger Sonnenstrahl fiel genau in diesem Augenblick auf die Gebäude. Und genau dieser Sonnenstrahl brachte Guerrini auf die Idee, den Besitzern der Schönheitsfarm einen Besuch abzustatten.
Er steckte die beiden Nüsse in seine Jackentasche und kletterte wieder zum Wagen hinauf. Langsam fuhr er Richtung
Vita divina
, ein paar Ziegen rannten vor ihm über den Feldweg, große Ringeltauben flogen auf, und einmal stob polternd ein Fasanenhahn davon. Immer wieder brachen diese breiten Strahlenbündel aus den Wolken, und anders als die klaren, wandernden Lichter über Siena stellten sie eine Verbindung zwischen Himmel und Erde her.
Guerrini genoss die langsame Fahrt über Feldwege und wusste, dass er Laura davon erzählen würde. Er dachte, dass es schön wäre, wenn sie jetzt neben ihm säße … doch es war auch so schön, ganz für sich. Er musste eine Weile suchen, ehe er die Einfahrt zum «Göttlichen Leben» fand, und auch das genoss er. Wieder einmal empfand er es als Privileg, einen Beruf zu haben, der ihm diese Freiheiten eröffnete.
Die Pforte war breit, hoch, schmiedeeisern, und sie war geschlossen. Diskret stand in goldenen Lettern
Vita divina
auf dem rechten Seitenpfosten. Es gab einen Klingelknopf, eine Gegensprechanlage, eine Sicherheitskamera.
Guerrini sah auf seine Armbanduhr, beinahe elf. Eigentlich sollte er nach Siena zurückfahren und endlich die Recherche über die Familie Cipriani für Laura zusammenstellen. Aber seine Neugier siegte, er stieg aus und drückte auf die Klingel. Die Antwort kam erstaunlich schnell und unglaublich höflich. «Buon
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