Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
giorno, was können wir für Sie tun?» Es war die Stimme einer Frau.
Guerrini räusperte sich, fühlte sich ein bisschen überrumpelt. «Buon giorno», antwortete auch er. «Commissario Guerrini von der Questura in Siena. Ich wollte Ihnen einen kurzen Besuch abstatten.»
«Aus welchem Anlass?»
«Aus Neugier.»
«Oh, dann lasse ich Sie wohl besser herein.»
Mit leisem Knarren glitt das große Tor zur Seite, Guerrini fuhr hindurch und folgte der schmalen Teerstraße, die in engen Kurven zwischen alten Olivenbäumen den Hügel hinaufführte.
Am Anfang unterschied sich die Landschaft in nur kaum merklichen Nuancen vom Land draußen. Trockenmauern stützten grasbewachsene Terrassen, die Olivenbäume waren uralt und knorrig, dann wechselten Rosenbeete mit bunten Dahlien, die vom Regen ein wenig angeschlagen wirkten. Dazwischen wuchsen Hecken von Oleander, Zypressengruppen, es gab Brunnen und Skulpturen, Marmorbänke. Der ganze Hügel wandelte sich in einen Park, dessen Architekt kluge Akzente gesetzt hatte, die sich verdichteten, je höher man gelangte. Kurz vor den Gebäuden säumte eine Allee wunderbarer hoher Pinien die Straße, an ihrem Ende öffnete sich ein weiter gepflasterter Hof, der an drei Seiten von palastartigen Natursteinhäusern eingefasst wurde.
Ein Schild verwies auf einen Parkplatz irgendwo hinter dem Komplex, doch Guerrini hielt vor der Freitreppe des Hauptgebäudes.
Als er ausstieg, wurde er bereits erwartet. Am Ende der Treppe stand eine Frau und lächelte ihm entgegen. Während er langsam zu ihr hinaufstieg, hatte er Gelegenheit, sie genau zu betrachten. Sie war groß, schlank, trug das dunkle, glatte Haar lang und in der Mitte gescheitelt. Ihr Gesicht erschien ihm zu perfekt, die ausgeprägten Brauen, die großen Augen, der volle Mund. Ihr Alter war schwer zu schätzen, lag vermutlich irgendwo zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig. Sie trug einen kurzen Rock, hohe Stiefel, eine Art Reitjacke und lächelte beständig, bis er sie erreicht hatte. Dann wurde sie plötzlich ernst, streckte ihm die Hand entgegen und fragte mit sanfter, dunkler Stimme: «Ich hoffe, bei Ihrem Besuch handelt es sich wirklich nur um Neugier, Commissario. Es hatte doch keine unserer Klientinnen einen Unfall oder so etwas? Oh, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt … Lara Salino-Remus.»
«Angelo Guerrini … nein, niemand hatte einen Unfall, Signora. Es war wirklich nur reine Neugier. Ich komme nicht so oft in diese Gegend und wusste bisher nichts von Ihrem Institut. Allerdings hat es hier in der Nähe diesen unerfreulichen Leichenfund gegeben. Wahrscheinlich haben Sie bereits davon gehört?»
Die dunklen Augen der Frau weiteten sich ein wenig. «Leichenfund? Ich weiß nichts von einem Leichenfund …»
«Ich dachte, auf dem Land würden sich solche Dinge schnell herumsprechen, zumal die Frau des Bauern Bellagamba Sie mit Käse, Milch und Eiern beliefert.»
Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. «Woher wissen Sie denn das?»
«Von Bellagamba. Auf seinem Grund wurde die Leiche gefunden, deshalb habe ich mich mit ihm unterhalten.»
«Ach so, natürlich. Signora Bellagamba kommt nur einmal die Woche. Ich habe sie seit vier Tagen nicht mehr gesehen. Wann … wann wurde denn diese Leiche gefunden? Und wo?»
Guerrinis Nachrichten hatten Lara Salino-Remus offensichtlich so verwirrt, dass sie vergaß, ihn ins Haus zu bitten.
«Es war nicht weit von hier. Zehn Minuten mit dem Auto.»
«Und wer ist der Tote?» Ihre Stimme zitterte kaum merklich.
«Wir wissen es noch nicht, Signora. Es handelt sich um einen kräftigen Mann mit sehr kurzen Haaren, ungefähr vierzig, vielleicht ein bisschen älter. Er hatte sich selbst erwürgt, obwohl das sicher nicht seine Absicht war. Besser gesagt: Er musste sich selbst erwürgen. Außerdem hatte ihm jemand Geldscheine in den Mund gestopft.»
Sie wich vor ihm zurück, ihr Blick drückte Entsetzen aus. «Wie grauenvoll», flüsterte sie. «Wer fügt denn anderen so etwas zu? Das hier ist ein Ort, an dem Menschen innere Ruhe finden, sich von den Härten des Lebens erholen können. Solche Orte sind wichtig in dieser Welt.»
«Durchaus», pflichtete Guerrini ihr bei. «Selbst Polizisten benötigen hin und wieder solche Orte. Aber ich dachte, es wäre gut, wenn Sie von der Sache wüssten. Und es ist sicher nicht schlecht, wenn Sie Ihr Tor geschlossen halten.»
«Stand es schon in den Zeitungen?» Die Signora schien sich wieder gefangen zu haben.
«Nein, wir haben es
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