Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
bisher zurückgehalten. Der Tote ist noch nicht identifiziert. Aber ich nehme an, dass es morgen in den Zeitungen stehen wird und dass auch das Fernsehen nicht mehr weit ist. Sie kennen das ja … wenn die hier auftauchen, dann wird Ihr Institut vermutlich auch ins Bild kommen. Ich wollte Sie nur warnen.»
Sie wirkte jetzt fast aufgelöst. «Ich muss meinen Mann rufen, er wird mit Ihnen sprechen wollen. Sehen Sie, das hier ist eine Oase der Ruhe für exklusive Kunden, vor allem Kundinnen. Es wäre eine Katastrophe …»
Endlich bat sie Guerrini ins Haus, ließ ihn aber sogleich stehen und verschwand, auf der Suche nach ihrem Mann.
Guerrini ließ die Eingangshalle auf sich wirken, die rohen Wände aus Travertinsteinen, die alten Möbelstücke, die Leuchter aus buntem Muranoglas. Glasierte Ziegel bedeckten den Boden, auf dem dunkelrote und blaue Teppiche lagen; es roch nach Orangenblüten oder so was Ähnlichem.
Auf seltsame Weise erinnerte ihn dieser Raum an das Anwesen des Conte Colalto. Das Wiedersehen mit Colalto und seiner Schwester hätte beinahe seine ersten Ferien mit Laura ruiniert. Die Erinnerung daran machte ihn ärgerlich, zumal er inzwischen davon ausgehen musste, dass die Colaltos samt ihrem illegalen Kunsthandel halbwegs ungeschoren davonkommen würden. Sie hatten zu viele einflussreiche Freunde.
Außerdem konnte Guerrini den Konflikt mit seinem Vater Fernando noch nicht wirklich austragen. Fernando Guerrini war offensichtlich in schräge Geschäfte mit den Colaltos verwickelt, die er nachdrücklich leugnete. Für Guerrini rankte sich um diese Verbindung seiner Eltern mit den Colaltos eine Art Kindheitstrauma.
Seine Gedanken wurden vom Auftritt eines großen, sehr schlanken Mannes unterbrochen. ‹Auftritt› erschien Guerrini das richtige Wort, denn der Mann betrat den Raum wie ein Schauspieler die Bühne, mit ausgebreiteten Armen und dramatischem Gesichtsausdruck.
«Commissario», flüsterte er heiser, «kommen Sie in mein Büro. Dort können wir in Ruhe reden.»
Laura lehnte an der Wand des Kühlraums im gerichtsmedizinischen Institut. Sie hatte das Bedürfnis, sich anzulehnen, irgendwie ging es ihr heute an die Nieren, in diesem kalten Raum zu stehen und Donatella Ciprianis Reaktion zu beobachten. Mühsam konzentrierte sie sich auf das, was vor ihr ablief, eine Szene, die sie bereits unendlich oft gesehen hatte. Die Klappe, hinter der Benjamin Sutton gekühlt wurde, öffnete sich, die Bahre wurde herausgefahren, das Tuch vom Gesicht entfernt. Und da lag er nun, gelblich weiß, längst fort und doch noch immer die irdische Hülle von Benjamin Sutton, transformiert allerdings in etwas Überirdisches.
Donatella Cipriani stand völlig reglos vor der Bahre, atmete kaum. Nach langen Minuten nahm sie eine kleine weiße Rose aus ihrer Tasche und legte sie behutsam auf die Brust des Toten, zog sich dann rasch zurück, sah sich suchend nach Laura um und war schon aus der Tür.
«Er sieht so anders aus», flüsterte Donatella, als sie neben Laura zum Ausgang ging. «Ich kann einfach nicht begreifen, dass er tot ist. Ich habe das Gefühl, mich in einem Film zu bewegen.»
Auch diesen Satz hatte Laura schon sehr oft gehört. Der Film als Ausdruck für die Abwesenheit der Wirklichkeit. Aber dieser Satz war auch ein Klischee, hinter dem Menschen die eigene Befindlichkeit verstecken konnten.
«Warum eine weiße Rose?», fragte Laura.
«Wir haben uns immer weiße Rosen geschenkt.»
«Nie rote?»
«Rote sind alltäglich. Mein Mann schenkt mir rote zum Hochzeitstag und an meinem Geburtstag. Es hat überhaupt nichts zu bedeuten.»
«Und weiße?»
«Weiße sind rein und unschuldig. Sie existieren außerhalb des Klischees.»
«Weshalb, glauben Sie, wurde der Geldkoffer nicht abgeholt?»
«Ist das ein Versuch, mich zu überrumpeln?»
«Nein, der Versuch, eine Antwort zu bekommen, die Sie mir schulden.»
Sie hatten den Ausgang des Instituts erreicht, und Donatella Cipriani sog tief die frische, kalte Luft ein, dann wandte sie sich zu Laura um, den Kopf leicht in den Nacken gelegt, die Augen schmal und wachsam.
«Ich habe eine Nachricht bekommen, dass ich mir die Mühe sparen könne. Man würde den Koffer nicht abholen und die Übergabe der Spende verschieben. Außerdem riet man mir, nicht zur Polizei zu gehen.»
«Und das haben Sie mir nicht erzählt, sondern meine Kollegen und mich am Bahnhof herumstehen lassen, obwohl Sie genau wussten, dass niemand erscheinen würde, um den Schlüssel für das
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