Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
Guerrini konnte sich vorstellen, dass sie Freude an einem kleinen Undercover-Abenteuer haben würde. Zumal sie die meisten Vertreterinnen ihrer eigenen Klasse nicht besonders gut leiden konnte.
Ja, wahrscheinlich wäre es klüger und überzeugender, wenn Isabella di Tremonti diese Aufgabe übernehmen würde. Oder vielleicht beide Frauen? Laura und Isabella? Guerrini beschloss, beide um Hilfe zu bitten. Wunderbarerweise fand er Isabella di Tremontis E-Mail-Adresse in seinem Notizbuch und machte sich sofort daran, ihr zu schreiben.
So vertieft war er in seine Bemühung, Isabella zu überzeugen, dass er nur unwillig knurrte, als irgendwer die Tür zu seinem Büro öffnete und offensichtlich eintrat, ohne auf seine Einwilligung zu warten. Guerrini schrieb den Satz zu Ende, drehte sich dann halb auf seinem Ledersessel und erstarrte. Hinter ihm, halb über den Bildschirm gebeugt, stand Carlotta.
«Was willst du denn von Isabella di Tremonti?», sagte sie und verzog das Gesicht. «Ist die inzwischen deine Freundin?»
«Wie kommst du dazu, meine E-Mail zu lesen? Was machst du überhaupt in meinem Büro? Wer hat dich hereingelassen?» Guerrini schaltete den Bildschirm aus und sprang auf.
«Euer kleiner Wächter D’Annunzio hat mich hereingelassen, nachdem ich ihn und zwei deiner Kollegen dabei erwischt habe, dass sie irgendein Kartenspiel auf dem Computer spielten, statt den Eingang zur Questura zu bewachen. Außerdem habe ich ihm erklärt, dass ich deine Frau bin.»
«
Was
hast du, Carlotta?»
«Ich habe ihm erklärt, dass ich deine Frau bin, Angelo. Und das ist ja auch eine Tatsache!»
«Wir sind geschieden, Carlotta.»
«Nein, das sind wir nicht, Angelo Guerrini. Oder hast du die Scheidungspapiere zufällig bei dir?»
«Wer trägt denn so was mit sich rum? Was willst du denn von mir?»
Sie stand jetzt neben der Tür und stützte sich mit einem Arm an der Wand ab. Die blondierten Haare fielen ihr bis auf die Schultern. Carlotta trug ein Kostüm mit langer Jacke und schmalem Rock und Stiefel mit hohen Absätzen. Das Dunkelbraun des Stoffs passte zu ihren Augen. Jetzt lächelte sie.
«Ich will gar nichts von dir, Angelo. Nein, das ist vielleicht nicht ganz richtig …», sie lachte auf. «Ich möchte mich nur irgendwann dieser Tage mit dir darüber unterhalten, was wir mit unserer Ehe anfangen sollen.»
«Mit unserer Ehe?» Guerrini starrte sie an. «Wie meinst du das, Carlotta?»
«Dio mio, Angelo! Ist dir eigentlich nicht aufgefallen, dass wir niemals unsere Scheidungsunterlagen bekommen haben? Da ist irgendwas schiefgelaufen, ist ja nicht verwunderlich in diesem Land! Ich habe jedenfalls keine Scheidungsurkunde. Hast du eine?»
«Carlotta, ich arbeite! Ich habe keine Zeit, mir Gedanken über irgendwelche Scheidungsurkunden zu machen. Aber ich bin ziemlich sicher, dass ich eine habe! Wir klären das später, bene?» Er bemühte sich, ganz ruhig zu bleiben und die langsam aufsteigende Ahnung wegzuschieben.
«Wann später?» Sie setzte sich halb auf die Ecke seines Schreibtischs und wippte mit einem Bein.
«Meinetwegen heute Abend.»
«Und wo?»
«Komm um sieben zur Questura, dann gehen wir essen.»
«Aber dann weißt du noch immer nicht, ob du eine Scheidungsurkunde hast! Oder bewahrst du deine Dokumente in der Questura auf?»
«Es spielt doch gar keine Rolle, ob ich eine habe oder nicht! Wir sind geschieden, wir waren beide im Gerichtssaal. Das habe ich doch nicht geträumt, oder?»
Carlotta wippte noch immer mit ihrem Bein, das bis knapp unterm Knie in einem eng anliegenden braunen Lederstiefel mit sehr hohen Absätzen steckte.
«Ich weiß es nicht», murmelte sie und lächelte auf eine Weise, die Guerrini nicht deuten konnte. «Ich kann mich nur dunkel an diese Gerichtsverhandlung erinnern. Sie ist immerhin beinahe fünf Jahre her.»
«Wir besprechen das heute Abend. Geh jetzt bitte, ich habe wirklich viel zu tun! Und es eilt!»
«Du hast dich nicht verändert, was?» Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt Carlotta vom Schreibtisch.
«Ich glaube nicht, dass du das beurteilen kannst!»
Warum gehe ich auf sie ein?, dachte er. Warum antworte ich, warum verteidige ich mich? Warum treffe ich mich um sieben mit ihr? Warum sage ich nicht: Tut mir leid, Carlotta, ich habe keine Zeit, und ich sehe auch keinen Grund, warum wir uns treffen sollten! Warum? Guerrini konnte sich keine Antwort geben. Höchstens vielleicht diese unklare Ahnung, dass etwas mit den Scheidungspapieren nicht in Ordnung sein
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