Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
Baumanns Vermutung, dass sie ein Typ für Gedichte sei, zu verarbeiten. Sie war schon immer ein Typ für Gedichte gewesen, für gute jedenfalls. Nur für gute. Sentimentalen Quatsch hasste sie! Aber woher wusste er das? Sie hatte mit Baumann nie über Gedichte gesprochen. Wahrscheinlich wollte er sie nur provozieren, wie er das gern tat. Nachdem er ihr keine direkten Avancen mehr machte, hatte er sich auf intelligente Provokationen verlegt. Mochte sie Baumann? Ja, sie mochte ihn. Sogar seine Provokationen. Nicht immer, aber ziemlich oft.
Entschlossen wandte sie sich zum Treppenhaus und machte sich auf den Weg zum Zimmer 135. Während sie langsam über die weichen Teppiche nach oben ging, versuchte sie zu verstehen, warum Monica Sutton in diesem Hotel abgestiegen war.
Wollte sie Sutton tatsächlich nahe sein, ein letztes Stück des Lebens erspüren, das er vor ihr geheim gehalten hatte? Oder war es eher ein Akt der Aggression, des Trotzes? Begriff sie langsam, dass er sie benutzt und belogen hatte? Oder wollte sie davon ablenken, dass sie schon einmal hier war?
Weiche Teppiche auch im langen Flur, kein Laut, kein Mensch. Ideale Voraussetzungen für alle, die nicht gesehen werden wollen, für Geheimtreffen aller Art, für Geschäftsleute, Liebespaare oder Mörder, dachte Laura und nahm sehr bewusst die absolute Lautlosigkeit ihrer Schritte wahr. Niemand hatte sie gefragt, ob sie ein Hotelgast sei, ungehindert war sie in den ersten Stock gelangt. Nun stand sie vor Zimmer 135, und noch immer war sie keinem Menschen begegnet.
Sie klopfte, wartete. Niemand antwortete. Laura klopfte erneut, kräftiger diesmal. Noch immer keine Antwort.
Vielleicht steht sie unter der Dusche und hört nichts, dachte Laura, oder sie will nicht aufmachen. Vielleicht liegt sie auf dem Bett und starrt an die Decke. Laura wartete, klopfte wieder und wieder.
Kein Laut von drinnen, keiner auf dem langen Flur. Nach zehn Minuten gab Laura auf und kehrte in die Eingangshalle zurück. An der Rezeption bat sie darum, Monica Sutton in ihrem Zimmer anzurufen. Sie sei mit ihr verabredet. Doch Monica Sutton ging auch nicht ans Telefon.
Als Laura wieder an ihrem Schreibtisch saß und ihren Computer konsultierte, fand sie nicht nur eine Nachricht von Commissario Guerrini, sondern zwei. Mehrmals las sie die erste und seine Bitte, eine Anfrage an das Institut
Vita divina
zu senden. Doch sie beschloss, nicht nur bei
Vita divina
, sondern auch bei Donatella Cipriani anzufragen.
Danach vertiefte sie sich in Guerrinis Recherche über die Familie Cipriani.
Donatella stammte aus der Möbelbranche, allerdings war ihr Vater in den achtziger Jahren pleitegegangen. Donatella hatte kurz danach Ricardo Cipriani geheiratet, einen reichen Mailänder Bauunternehmer, der daraufhin einen Teil der Möbelproduktion gerettet hatte. Donatella brachte als Designerin das Geschäft wieder in Schwung, bekam zwei Kinder und fiel nicht weiter auf.
Ricardo dagegen machte nicht nur eine grandiose Karriere als Bauunternehmer, er arbeitete auch erfolgreich als Politiker. Sein Vater war überzeugter Neofaschist, Ricardo gab sich etwas gemäßigter, trat aber seit Jahren für die Abspaltung der nördlichen Regionen Italiens, die seine Partei «Padanien» nannte, vom Süden des Landes ein. Er sei strikt gegen jede Zuwanderung von Immigranten jeglicher Art und mitverantwortlich für den Einsatz von Bürgerwehren, wettere gegen Globalisierung – baue allerdings auch in China und Indien.
Alles in allem eine höchst erfolgreiche und sehr typische Familie des norditalienischen Unternehmertums, schrieb Guerrini zuletzt.
Trotz seiner wilden Attacken gegen den nichtsnutzigen Süden unseres Landes baut er auch dort, der feine Signor Cipriani. In den Recherchen der Antimafia gibt es Hinweise, dass er eine Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen nicht scheut, wenn es seinen Geschäften nützt. Genaueres kann ich leider nicht melden, doch allein dieser Hinweis erscheint mir überzeugend. Bei Donatella handelt es sich vermutlich um eine emotional vernachlässigte und betrogene Ehefrau, die vor allem finanziellen Gewinn aus ihrer Ehe schöpft. Der Sohn ist übrigens bei einer radikalen linken Gruppe aktiv, die Tochter ebenfalls. Viel Erfolg bei Deiner Arbeit.
Ciao! Angelo
Nachdenklich lehnte Laura sich in ihren Sessel zurück und wippte ungeduldig mit der Rückenlehne.
Dann antwortete sie betont sachlich:
Sehr geehrter Commissario Guerrini,
danke für die gute
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