Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
gehen wir essen?»
Er war sich sehr bewusst, wie intensiv Carlotta ihn von der Seite musterte, spürte ihren Blick geradezu körperlich, als berühre etwas Metallisches seine Gesichtshaut. Ohne auf seine ausweichende Antwort einzugehen, sagte Carlotta bemüht leichthin: «Ich kenne mich nicht mehr aus mit den Lokalen in Siena. Aber meine Freundin hat das
Aglio e Olio
empfohlen.»
«Die haben heute Ruhetag.»
Niemals würde er mit Carlotta ins
Aglio e Olio
gehen, es war Lauras Lieblingslokal!
«Wie schade. Wohin also dann?»
«Ins
La Torre
, da isst man hervorragend, und es ist meistens so voll und laut, dass niemand unser Gespräch verstehen kann.»
«Das ist wichtig, nicht wahr? Per carità, Angelo! Warum bist du denn so kompliziert? Wir haben uns mehr als vier Jahre nicht gesehen, und jetzt gehen wir eben zusammen essen. Wir haben uns damals halbwegs anständig getrennt, wo liegt das Problem?»
«Vielleicht darin, dass wir uns vier Jahre nicht gesehen haben und wir beide ein anderes Leben angefangen haben.» Guerrini schlug den Weg Richtung Campo ein, Carlotta folgte ihm langsam.
«Geh doch nicht so schnell!»
«Ich habe Hunger.» Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er in den Jahren seiner Ehe immer langsam gehen musste, weil Carlotta eine Vorliebe für Schuhe mit sehr hohen Absätzen hatte, die absolut ungeeignet für das Kopfsteinpflaster in Siena waren. Damals hatte er mit seinen Radtouren angefangen, weil sie ihm ein Gefühl von Freiheit und selbstgewählter Geschwindigkeit gaben.
Was für ein Trottel ist man doch in jüngeren Jahren, dachte er und fand die Situation plötzlich amüsant. Vergangenheitsbewältigung vierter Akt, würde Laura jetzt sagen. Und sie hatte recht – vor ihm lagen vermutlich noch ein fünfter, sechster und siebter Akt, unter anderem dieses Abendessen.
An diesem Abend kehrte Laura ungewöhnlich früh nach Hause zurück. Im Treppenhaus traf sie Ibrahim Özmer, ihren türkischen Nachbarn, der sie geradezu überschwänglich begrüßte. Sein Deutsch war auch nach all den Jahren, die er in München lebte, höchst rudimentär. Er strahlte über das ganze Gesicht: «Heiraten Ülivia! Kommen Hochzeit, ja!»
«Ülivia wird heiraten?» Laura sah Ibrahim Özmer erstaunt an.
«Ja, heiraten!»
«Wann denn?»
«In zwei Woche.» Er hielt zwei Finger seiner großen Hand hoch.
«Ach.»
«Du kommen!»
«Ja, vielleicht.»
«Du kommen!» Es war eine Feststellung, keine Frage.
«Ja, ich komme.» Laura hatte keine Lust auf längere Diskussionen.
«Gut!» Er lächelte und setzte seinen Weg nach unten fort, während Laura langsam die vielen Treppen hinaufstieg. Sie hatten es also geschafft, die alten Özmers. Ülivia, die jüngste Tochter, würde endlich den verordneten Ehemann heiraten, nachdem vor zwei Jahren ihr Ausbruchsversuch kläglich gescheitert war. Die kurze Liebelei mit einem jungen Kurden hätte damals beinahe in einer Tragödie geendet.
Laura mochte die junge Nachbarin, die etwas Ungebärdiges ausstrahlte und eine Sehnsucht, die kein bestimmtes Ziel hatte, einfach nur Sehnsucht war. Es machte Laura traurig, wenn sie an diese Sehnsucht dachte und an die bevorstehende Hochzeit, beides passte nicht zusammen.
Als Laura ihre Wohnung betrat, fand sie Luca etwas mürrisch über seine Hausaufgaben gebeugt.
«Hat dich der alte Özmer abgefangen?», fragte er. «Ülivia heiraten, alle kommen!» Luca konnte Ibrahim Özmer wunderbar nachmachen.
«Ja, natürlich.»
«Er hat schon zweimal bei uns geklingelt, um dir die große Neuigkeit zu verkünden. Ich finde es totale Scheiße! Die haben Ülivia wahrscheinlich so in die Mangel genommen, dass sie einfach aufgegeben hat!»
«Ja, wahrscheinlich.»
«Willst du nichts dagegen tun, Mama?»
«Nein, Luca. Ich kann gar nichts dagegen tun.»
«Aber ich bin sicher, dass Ülivia diesen Typen nicht heiraten will!»
«Zu mir hat sie schon vor zwei Jahren gesagt, dass sie ihn heiraten wird, weil ihr die Familie wichtig ist. Sieh mal Luca, früher haben die Leute auch bei uns nicht aus Liebe geheiratet, sondern weil die Familie es aushandelte. Das ist gar nicht so lange her. Die türkischen Frauen werden sich da selber herausarbeiten, wie es die anderen Frauen auch getan haben. Das braucht Zeit.»
«Du hast heute deinen toleranten Tag, was? Wieso bist du eigentlich schon zu Hause?»
«Weil ich gern mit euch zu Abend essen wollte.»
«Haben wir überhaupt was im Kühlschrank?»
«Ich werd mich drum kümmern, Luca. Mach du nur deine
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