Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall

Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall

Titel: Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
Vom Netzwerk:
fünfte Tag ihrer Begegnung gewesen.
    Donatella fegte das Glas von der Anrichte und hielt sich die Ohren zu, als es auf den Granitfliesen zersplitterte. Der erste längere Kuss hatte einen Orgasmus in ihr ausgelöst, dessen sie sich jetzt verzweifelt schämte, der sie mit Wut und Hass erfüllte. «Mia colomba bianca» hatte er sie genannt, weil er Tauben liebe und sich mit ihr so frei fühle, als flögen sie gemeinsam über die Dächer von Siena.
    Mit der halbvollen Flasche in der Hand kehrte Donatella in ihr Arbeitszimmer zurück, wo sie ruhelos auf und ab ging. Unmöglich, sich hinzusetzen. Ihre innere Unruhe schmerzte, fühlte sich an wie ein Messer in ihren Eingeweiden, trieb sie zu rastloser Bewegung, als könnte sie vor sich selbst weglaufen, wenn sie im Zimmer umherging.
    Sie hatte ihm geglaubt.
    Die schwierige Ehe mit einer adeligen Engländerin, die vier Kinder, den mühsamen Erhalt der Besitztümer seiner Vorfahren – dabei hatte er diskret erwähnt, dass er ebenfalls ein wenig adelig war. Auch seine Sehnsucht nach der Wärme und Lebendigkeit des Südens hatte sie geglaubt, seine Sehnsucht nach leidenschaftlicher Liebe.
    Alles hatte sie ihm geglaubt!
    Mia colomba bianca. Meine weiße Taube.
    Donatella warf sich auf den Boden und rollte sich zusammen wie ein Embryo. Sie hatte sich Benjamin geöffnet, ihr Leben vor ihm ausgebreitet, ihre Einsamkeit, ihre Sehnsucht, die sie in sich vergraben hatte, unter Strukturen und Abläufen und Konventionen und Arbeit. Er hatte zugehört, sie ernst genommen, ihr Mut gemacht. Er hatte sie schön gefunden, schlagfertig, klug, hatte ihr Zärtlichkeit geschenkt und eine nie gekannte Leidenschaft.
    Zehn Tage lang.
    In den letzten fünf Tagen war sie kaum noch nach
Vita divina
zurückgekehrt. Die Nächte, diese unbeschreiblichen Nächte. Donatella stöhnte, umfasste mit beiden Armen ihre Knie und schaukelte hin und her wie ein verlassenes Kind, das die Hoffnung aufgegeben hat.
    Dann musste Benjamin abreisen. Ganz plötzlich, ohne Vorwarnung. Eines seiner Kinder hatte einen Fahrradunfall. Er wollte nicht fahren, war verzweifelt, sprach vom Wiedersehen an einem neutralen Ort, schlug München vor, seiner Geschäfte wegen.
    Als Abschiedsgeschenk hatte er ihr das Gedicht gegeben, zusammen mit einem riesigen Strauß weißer Rosen.
    «Ein Römer hat es geschrieben», flüsterte er, während er sie in seinen Armen hielt und sein Gesicht in ihrem Haar verbarg. «Es ist zweitausend Jahre alt, aber es wird für alle Zeiten Gültigkeit haben. I love you, Donatella.»
    Sie richtete sich langsam auf, kniete eine Weile, denn ihr war schwindlig. Endlich zog sie sich am Schreibtisch hoch, schloss die unterste Schublade auf und zog das Blatt Papier hervor, auf das Benjamin Sutton mit seiner großzügigen Handschrift für sie das Gedicht von Petronius geschrieben hatte.
     
    Welch eine Nacht! Ihr Götter und Göttinnen!
    Wie Rosen war das Bett! Da hingen wir
    Zusammen im Feuer und wollten in Wonnen zerrinnen
    Und aus den Lippen flossen dort und hier,
    Verirrend sich, unsre Seelen in unsre Seelen –
    Lebt wohl, ihr Sorgen! Wollt ihr mich noch quälen?
    Ich hab in diesen entzückenden Sekunden,
    Wie man in Wonne sterben kann, empfunden.
     
    Donatella las halblaut, einmal und ein zweites Mal. Langsam steckte sie das Blatt in ihre Schreddermaschine und sah zu, wie es in hauchdünne Streifen zerschnitten wurde. Eine Weile hielt sie die Streifen in der Hand, dann warf sie sie angeekelt in den Papierkorb.
    Wann hatte sie zu zweifeln begonnen?
    Es war kaum zwei Wochen her. Nach der Begegnung in Paris und dem dritten Erpresserbrief. In Paris war Benjamin eine Idee weniger aufmerksam gewesen als sonst, hatte nervös und abwesend gewirkt. Als sie ihn darauf ansprach, erzählte er von schwierigen Geschäften und einer möglichen Scheidung von seiner Frau. Donatella hatte Verständnis für all das. Schlimmer war, dass sie in seinem Kulturbeutel eine winzige Schachtel mit Viagra entdeckt hatte. In einer ebenfalls winzigen Seitentasche. Es hatte sie wie ein Schlag getroffen.
    Weshalb brauchte er Viagra?
    Ihre eigene Leidenschaft war so heftig wie bei ihrer ersten Begegnung. Seine nicht? Sie hatte nicht gewagt, ihn zu fragen. Weshalb hatte sie überhaupt in seinen Kulturbeutel geschaut? Sie hatte kein Recht dazu. Trotz ihrer Schuldgefühle kam ihr diese kleine Tablettenschachtel wie ein Verrat an ihrer Liebe vor. Verwirrt war sie nach Mailand zurückgekehrt.
    Dann war der dritte Brief

Weitere Kostenlose Bücher