Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
Hausaufgaben.»
Sie fragte nicht nach dem Abend bei ihrem Exmann Ronald, hoffte, dass später, beim Essen, Sofia und Luca selbst erzählen würden. Als Laura an Sofias Zimmer vorbeiging, sah sie nur eine winkende Hand über langen dunklen Haaren und verzog sich ins Badezimmer. Nachdem sie ihr Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen hatte, betrachtete sie sich im Spiegel und fragte sich halblaut: «Warum hast du Donatella Cipriani schon wieder wegfliegen lassen, Laura Gottberg?»
«Ich weiß es nicht!», antwortete sie ein bisschen lauter. «Könnte sein, dass es etwas mit mir persönlich zu tun hat. Aber ich muss jetzt kochen!»
Der Blick in den Kühlschrank war nicht besonders ermutigend. Aber in der Kühltruhe fand sie noch ein paar Stücke selbstgemachten Apfelstrudel, die sie vor ein paar Wochen eingefroren hatte – auf Vorrat. Als Vorspeise rieb sie Karotten, beträufelte sie mit Zitrone und streute ein bisschen braunen Zucker darüber. Käse war auch noch da, falls Lucas Hunger sehr groß sein sollte.
Während Laura den Tisch deckte und der Apfelstrudel im Bratrohr zu duften begann, erschien Sofia in der Küche.
«Mathe hab ich endlich kapiert, aber diese Erörterung macht mich echt fertig, Mama. Wieso muss man Erörterungen schreiben? Was ist das überhaupt für ein blödes Wort? Erörterung? Hast du in deiner Schulzeit Erörterungen geschrieben?»
Sie steckte ein Stück Karotte in den Mund.
«Nein. Wir hatten nur Aufsätze und Interpretationen von Gedichten. Erörterungen sind etwas für künftige Leistungsträger, so nennt man die Schüler der höheren Schulen heute. Ich finde das richtig abartig!»
«Ich finde Erörterungen abartig! Hier riecht’s gut. Was hast du denn gefunden?»
«Apfelstrudel.»
«Lecker. Was hast du denn gestern Abend gemacht, Mama?»
«Ich habe gebadet und nachgedacht.»
«Worüber?»
«Über den Fall, an dem ich gerade arbeite, und über meine Mutter.»
«Über deine Mutter?»
«Ja, ich hatte plötzlich ein Gefühl, als hätte ich sie gar nicht wirklich gekannt.»
Der erstaunte Blick ihrer Tochter ließ Laura innehalten. «Du verstehst das nicht, Sofi. Aber ich hab inzwischen begriffen, dass man einen Menschen nicht unbedingt kennt, nur weil man mit ihm zusammenlebt. Es gibt so viele Fragen, die ich meiner Mutter nie gestellt habe, nie stellen konnte. Jetzt würde ich sie gern fragen, aber es geht nicht mehr.»
Sofia antwortete nicht, stellte Gläser auf den Tisch und rückte die Schüsseln mit den geriebenen Karotten zurecht.
«Wie war’s bei Papa?» Jetzt hatte Laura doch gefragt. Es war ihr einfach so rausgerutscht, am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen.
«Och, ganz gut. Seine Freundin war nicht da. Er und Luca haben Schach gespielt, und ich hab Hausaufgaben gemacht, weil ich am Nachmittag Sport hatte. Papa hat mir ein bisschen geholfen.»
«Schön.» Laura lächelte ihrer Tochter zu, doch die schaute in eine andere Richtung. Die unüberlegte Frage hatte ihre Verbindung unterbrochen.
«Luca, komm bitte zum Essen.» Laura ärgerte sich über die komplizierte Situation und über sich selbst.
Schweigend aßen sie die Karotten mit braunem Zucker. Laura hatte keine Lust, von sich aus ein Gespräch anzufangen.
«Verdammt gesund, was?», grinste Luca nach einer Weile.
«Ja, verdammt gesund!», erwiderte Laura, stand auf und nahm den Apfelstrudel aus dem Ofen. In diesem Augenblick klingelte das Telefon, und Luca sprang auf. «Ist wahrscheinlich für mich!»
Laura flehte innerlich, dass es so sein möge, doch bereits nach ein paar Sekunden kehrte Luca zurück und hielt ihr das Telefon hin.
«Für dich, Peter Baumann.»
«Wärst du bloß nicht rangegangen», murmelte sie. «Man muss nicht jeden Anruf entgegennehmen!»
Luca setzte sich schweigend und nahm sich ein Stück Strudel, während Laura langsam das Telefon ans Ohr hob.
«Was gibt’s, Peter?»
«Entschuldige, wenn ich euch stören muss.» Er machte eine ziemlich lange Pause, räusperte sich dann.
«Was ist denn?»
«Monica Sutton ist tot. Ich habe ihr Zimmer öffnen lassen. Es sieht aus, als hätte sie Selbstmord begangen. Wär gut, wenn du vorbeikämst.» Baumanns Stimme war kühl und distanziert. Laura sah zu ihren Kindern hinüber, die vor ihrem Apfelstrudel saßen und sie beobachteten.
«In einer Stunde. Ich komme in einer Stunde. Das mit der Spurensicherung kannst du allein erledigen.»
«Tut’s dir leid?»
«Was?»
«Dass sie tot ist.»
«Ja, es tut mir leid.»
«Mir
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