Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
vero?»
Carlotta zuckte die Achseln, trank einen Schluck Caffè und verzog das Gesicht. «Er ist zu bitter!»
«Ja, er ist bitter. Meine Haushälterin hat den falschen gekauft.»
«Deine Haushälterin?» Ihre Stimme klang spöttisch.
«Carlotta, bitte!»
«Schon gut. Um dich zu beruhigen … ich habe mich um eine Stelle in Turin beworben und werde sie wahrscheinlich bekommen. Das gestern war … ich hatte plötzlich so ein Bedürfnis danach, irgendwo unterzukriechen. Und wo hätte ich das tun sollen, wenn nicht hier in Siena, wo ich mein halbes Leben verbracht habe … Hast du jemals einen totalen Einbruch deines Selbstbewusstseins erlebt, Angelo? Vermutlich nicht … als Mann und Commissario!»
Das war wieder die vertraute Carlotta. Diese Mischung aus Aufrichtigkeit und Verachtung.
«Du wirst es nicht glauben, Carlotta, aber ich hatte solche Einbrüche, und nicht nur einmal. Ich, als Mann und Commissario!»
«Bene. Wer ist deine Freundin? Kenne ich sie? Bist du bei ihr untergekrochen? Männer finden ja immer jemanden!» Carlotta stellte die halbvolle Tasse wieder auf das Tablett zurück, während Guerrini sich bemühte, die letzten Sätze zu ignorieren.
«Sie lebt nicht in Siena, und du kennst sie nicht.»
«Ah, eine Fernbeziehung. Das passt eigentlich ganz gut zu dir. Ich glaube nicht, dass du zur Ehe begabt bist.»
«Grazie, Carlotta. Danke für diese Entlastung. Ich muss jetzt ins Kommissariat. Tommasini hat bereits angerufen, weil es ziemlich brennt.»
«Wie immer, nicht wahr? Wir hätten noch einen besseren Caffè in deiner Stammbar trinken können.»
«Wir hätten, ja. Aber es geht nicht.»
Gemeinsam verließen sie Guerrinis Wohnung, trennten sich vor dem Haus, wünschten sich Glück, vermieden einen Wangenkuss. Auf dem Weg zur Questura fiel Guerrini auf, dass er noch in Jeans und Pullover war, aber er ließ es dabei. Außerdem hatte er das deutliche Gefühl einer Niederlage. Er dachte an Laura und sehnte sich heftig nach ihr.
DONATELLA erwachte, als Sara an die Tür ihres Schlafzimmers klopfte und von draußen fragte, ob die Signora einen Tee oder Caffè ans Bett wünsche. Benommen richtete sie sich auf und tastete nach dem Wecker. Halb zehn. Sie hatte verschlafen, wollte eigentlich spätestens um neun in der Firma sein. Sie verschlief nur selten. Es verwirrte sie.
Dann fiel ihr der Traum wieder ein. Ein völlig unübersichtlicher Traum, der ihr nur als eine dumpfe Bedrohung in Erinnerung geblieben war. Er hatte keine fassbaren Bilder hinterlassen, nur ein nagendes Gefühl in der Magengegend. Nacheinander stellte Donatella ihre Füße auf den weichen Teppich neben ihrem Bett und starrte auf ihre blassen Zehen mit den rosa lackierten Nägeln.
Sie musste aktiv werden.
Ihre Stuktur begann zu zerfallen. Diese heftigen Gefühle, die sie immer wieder überwältigten. Vermutlich waren sie es, die ihr Angst machten. Sie musste etwas gegen diese deutsche Kommissarin unternehmen. Auch sie war ein Teil der Bedrohung. Sie würde Bescheid wissen. Donatella war ganz sicher, dass sie Bescheid wissen würde. Wenn nicht jetzt, dann sehr bald.
«Signora? Come sta? Posso servirlei un caffè?» Sara wartete noch immer vor der Tür.
«Sì, Sara, grazie!»
Geh weg, dachte Donatella. Geh weg und mach den Caffè! Langsam stand sie auf, behutsam ihre Beine belastend. Sie trugen. Dann hatte sie einen unerwartet klaren Einfall. Ihr Aufenthalt im Institut
Vita divina
war möglicherweise ihre Rettung. Weshalb fragte die Kommissarin an, ob sie sich dort aufgehalten hatte? Vermutlich, weil es einen Verdacht gegen diese Einrichtung gab. Aber natürlich.
Gleichzeitig mit diesen Gedanken schien sich eine kalte Hand um Donatellas Herz zu schließen. Was wäre, wenn nicht nur ihre Therapien sie für die Liebe zu Benjamin geöffnet hätten? Wenn Benjamin regelrecht auf sie angesetzt worden wäre? Nachdem man sie entsprechend vorbereitet hatte?
Donatella tastete sich ins Bad und übergab sich.
Stolz präsentierte Tommasini auf dem Bildschirm das Bild von Cosimo Stretto. Von vorn, von links und von rechts.
«Eindeutig, was?» Befriedigt massierte er seinen Nacken und betastete danach die letzten Haare über seiner Stirn.
«Als Leiche hat er mir besser gefallen», murmelte Guerrini, «obwohl er da auch nicht besonders schön war. Diese Polizeifotos grenzen an Körperverletzung. Wie hast du ihn denn gefunden?»
«Durch stundenlange Suche unter dem Stichwort Geldeintreiber und Pizzo. Es war nicht leicht,
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