Nachtgesang
nie abgewendet werden kann. Sie wusste, dass es falsch war, dieses Kind in die Welt zu setzen, aber ihr Mutterinstinkt sorgte dafür, dass sie es trotzdem behielt. Und zu seinem Nachnamen: Gewisse Stämme (Illulas war einer davon) benutzten ›ari‹ als Alternative zu ›Sohn‹. Also wurde er statt Malinssohn Nephran Malinari.
Als er heranwuchs, kam die seltsame Mischung oder Mutation der vereinten Talente seiner beiden Elternteile – die in ihrem Blut gewesen waren – in ihm zum Vorschein und wuchsen mit ihm. Aber anders als beim Halb-Mentalismus seines Vaters war derjenige Nephrans ganz und gar monströs, und anders als Illulas heilende Berührung war die seine von Beginn an eine böse, lebensverschlingende Kraft. Zusammen reiften diese veränderten Talente zu der Größe heran, die ihn zu dem machte, was er war und immer noch ist. Malinari das Hirn.
Seine Liebe zur Musik erbte er von seiner Mutter, ebenso wie seine stechenden Kopfschmerzen: Sie vererbte ihm auch diese. Denn als Heilerin von der Sonnseite war dies ihr Lohn gewesen – oder vielmehr der mangelnde Lohn –, für die guten Taten, die sie vollbrachte: Etwas von den Krankheiten ihrer Patienten übertrug sich auf sie, vermutlich, damit diese geheilt werden konnten! Aber in Nephran war diese Migräne schlimmer, verkompliziert durch das Wirrwarr der quälenden Gedanken der anderen.
Tja, so war er also. Und seine Mutter:
Als die Zeit verging, verlor Illula langsam den Verstand ... oder zumindest begannen die Probleme mit ihrem Verstand. Nach und nach entwickelte sie so viele Krankheiten in ihrem Körper, Beulen und Blutergüsse, Krebs- und Brandgeschwüre, Schmerzen und Leiden und allgemeine Unzulänglichkeiten, dass es ihr Egel schwer hatte, sich am Leben zu halten. Kaum heilte ihr Parasit eine Krankheit, kam eine andere an ihrer Stelle. In Illulas lichten Augenblicken versuchte sie diese Dinge zu erklären: Es waren alles Krankheiten, die sie auf der Sonnseite geheilt hatte, die nun in ihr heranreiften. Denn ihre Fähigkeit, Gutes zu vollbringen, war ihr geraubt worden, und mit ihr all das, was das Böse eingedämmt hatte.
Sie wäre einen langsamen Tod gestorben oder Malinari hätte auf die Idee kommen können, sie beiseite zu schaffen, aber es kam nicht so weit. Illulas Stündlein hatte geschlagen und sie wusste es. Als ihr Sohn 18 war, übergab sie ihm die Malinshöhe, nahm eine Flugkreatur und flog vor der Morgendämmerung zurück auf die Sonnseite. Über dem Grenzgebirge fand die Sonne sie und mit ihrem Flieger zahlte sie dafür. Beide wurden zu Rauch, Dampf und üblem Gestank.
Tja, so viel zu Nephran Malinaris Herkunft.«
Damit war Korath endlich am Ende seiner Geschichte angelangt. Zumindest für eine Weile ...
Korath, bis jetzt hast du deine Sache gut gemacht, sagte Harry. Aber seine Totenstimme war nun wesentlich leiser. Bevor der dahingeschiedene Vampir damit beginnen konnte, sich zu brüsten, erkundigte Jake sich:
»Geht es dir gut, Harry?«
Ja ... ich werde zu vielen Orten gerufen, antwortete der andere. Ich kann ich selbst als Junge oder erwachsener Mann sein oder ich kann daneben stehen und mich selbst beobachten, wie ich einmal war. Aber ich halte nicht so viel davon, etwas zu tun, was schon einmal getan wurde. Und es gibt Orte, an denen ich viel vollständiger sein muss als hier. Das ergibt alles wenig Sinn für dich, ich weiß. Aber physisch kann ich hier sehr wenig ausrichten, es sei denn, ich tue es durch dich.
Und Korath fügte hoffnungsvoll hinzu: Und durch mich?
Aber Harry schüttelte seinen körperlosen Kopf. Du bist weniger als ich. Du kannst nichts ausrichten, außer wenn jemand dämlich genug ist, dich zu weit in seinen Geist oder seinen Körper vordringen zu lassen – was nicht passieren wird. Jake, sei gewarnt: Dieser Korath war ein 400-Jahre-alter Vampir. Falls du je wieder mit ihm sprechen musst, öffne deinen Geist nicht ihm gegenüber, nicht ganz. Lass ihn nie hinein oder es könnte dir passieren, dass du ihn für immer mit dir herumträgst.
Jake schauderte, umschlang seinen Körper und versicherte Harry: »Mach dir keine Sorgen. Wenn ich an diesen Ort zurückkehren müsste, bräuchte es dafür schon einen verdammt guten Grund.« Das Wasser gluckerte düster und der Schacht stank nach Salpeter und muffigem Sprengstoff, nach Schrecken und Tod und durch die Nachwirkungen der Explosion zerbröckelndem Beton.
Dann... seid ihr hier fertig? Koraths einsame Stimme zitterte. Ist das mein Schicksal, hier unten für
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