Nachtgesang
Sonnseite und nur wenig wurde den Lords der Sternseite nicht zugetragen. Aber weder in Giorgas Heimstätte noch in einer der anderen Festen brauchte man eine Heilerin, denn gängige Krankheiten waren den Wamphyri gänzlich unbekannt, da sie so von Bosheit trieften, dass geringe Übel in ihnen keinen Fuß fassen konnten. Ausgenommen natürlich die verschiedenen Mutationen, Formen von Autismus, Metamorphosen und Geisteskrankheiten, von denen die Großen Vampire schon seit jeher geplagt wurden, wenn plagen das richtige Wort ist. Denn abgesehen von Wahnsinn – oh ja, und der Lepra, dem sogenannten ›Fluch der Vampire‹ – wurden andere Krankheiten kaum je als solche angesehen: Sie waren einfach da, ein Teil des Lebens und der Langlebigkeit. Denn wo Menschen in hohem Alter oft vor Schmerz und Leid stöhnen, findet man unter Vampiren allerlei Kurioses.
Obwohl jedenfalls Illulas Geschick Giorgas wenig brachte, so war ihre Schönheit – nicht zu vergessen ihre Jungfräulichkeit, welche bei Frauen ab einem gewissen Alter selbst auf der Sonnseite eine Seltenheit war – äußerst faszinierend. Und natürlich nahm er ihr die und machte sie dann zu seiner Frau. Ja, denn Giorgas wollte Söhne, die seine Feste verwalten sollten, und woher sollte er die besser bekommen als von einer anmutigen Frau? Laut Malinari war sein Erzeuger selbst ein Adonis; das erklärt vielleicht die dunkle Schönheit des Hirns.
Ah, aber die seltene Kombination der Talente von Malinaris Eltern sorgte für viel mehr als lediglich seine physischen Eigenschaften ...
So wurde also Illula die Heilerin vampirisiert und durchlitt selbstverständlich den Schlaf der Verwandlung. Als sie aufwachte, war sie eine Wamphyri! Und Giorgas Stätte hatte nun sowohl einen Gebieter als auch eine Gebieterin. Aber wenn ein Mann schon aufpassen muss, wen er zur Frau nimmt, wie viel vorsichtiger muss dann ein Vampir beim Erschaffen einer Gefährtin sein? Besonders ein Großer Vampir.
Jedenfalls war Illula eine Wamphyri und ein Teil von Giorgas Essenz floss in ihr; schon sammelten sich die ersten Knotenpunkte, Fasern und die fötale Fäulnis eines Parasitenegels in ihrem Rückgrat, um das Knochenmark auszusaugen. So passiert es immer. Aber als ob er solche verheerenden Eingriffe irgendwie ausgleichen müsste, bildet der heranwachsende Vampir unweigerlich die Sinne des Ursprungsvampirs aus. Nicht nur die fünf Sinne, sondern auch – wenn eine Erweiterung für den Parasiten von Vorteil ist – eine Reihe weiterer Sinne ...
Illula und Giorgas teilten ein Bett und natürlich klammerte sie sich – da sie jetzt seine Frau war und selbst zu den Großen Vampiren zählte – an ihn während der langen Sternseiten-Tage, wenn die Spitzen der höchsten Festen golden in den glühenden Strahlen von der Sonnseite glänzten. Wenn der Lord anfing, im Schlaf zu stöhnen (denn selbst die schrecklichsten Wamphyri leiden gelegentlich unter Albträumen und manche sogar noch mehr, was normalerweise aus ihrer Erinnerung an ihre eigene Verwandlung oder Herkunft rührt), nutzte sie ihre heilenden Hände, um seine Stirn zu kühlen und mit ihren sanft gesungenen Schlafliedern sämtliche Schrecken, die in seine Träume eingedrungen waren, zu vertreiben. Aber in der Dämmerung vor Anbruch der Nacht – wenn er trotz ihrer Fürsorge aufwachte und sich im Schlaf wenig oder gar nicht erholt hatte – war Illula gänzlich verwirrt; Lord Malin vertrödelte die Zeit auf Malinshöhe, als wäre er von einer lähmenden Krankheit befallen ... und das war er auch. Sie war die Krankheit.
Die Ursache lag in ihren einst heilenden Händen, ihren einst beruhigenden Liedern und ihrer einst besänftigenden Gegenwart. Denn jetzt, da sie um Giorgas Vampiressenz bereichert worden und aufgestiegen war, wurden ihre Heilkräfte umgekehrt. Wo Illula einst Leben gespendet – oder es zumindest zurückgegeben – hatte, saugte sie es nun aus. Ihr Talent gedieh ... wie das eines Vampirs natürlich! Denn selbst wenn sie es anders gewollt hätte, der Vampir in ihr ließ es nicht zu. Es gab nie einen Vampir, der Leben gegeben hat, und es wird ihn auch nie geben.
Also schwand die Lebenskraft aus Giorgas und während er schwach wurde und sie stark, wurde ihr Vampir noch stärker. Wamphyri, aye, und was für ein Monster sie geworden wäre. Nur, dass es nicht dazu kam.
Denn sie war schwanger von Giorgas und an dem Tag, als er starb, gebar sie einen Sohn, den sie Nephran nannte, denn das ist das Szgany-Wort für ein Unheil, das
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