Nachtgesang
der Oberhaupt sein und seine eigenen Leute aufopfern kann. Zweitens: Weil er groß, grobschlächtig und ein geborener Tyrann war, was wahrscheinlich auf dasselbe herauskommt wie Grund eins. Und drittens: Weil Dinu einer der Wenigen war, mit denen ich es ertragen konnte, eine Konversation zu führen. Oder besser: mit denen ich auf einem gewissen Niveau sprechen konnte, ohne mich zu sehr darum zu kümmern, ob sie logen oder nicht, denn es war mir auch egal.‹
›Ich versuche, euch zu verstehen, Herr‹, beeilte ich mich zu sagen, denn es schien, als ob er auf eine Antwort warte.
›Ich lese die Gedanken der Menschen.‹, erklärte Malinari. ›Wenn sie etwas Nachteiliges über mich denken, dann ... ärgere ich mich. Und wenn ich mich ärgere, verliere ich gute Männer. Deshalb ist es manchmal besser, die Gedanken nicht zu lesen! Und ich sage dir, ich habe deinen Vater belogen, als ich ihm sagte, dass ich von seiner Heimtücke wusste. Ich vermutete sie vielleicht, aber ich wusste es niemals mit Gewissheit, bis zu der Nacht, als die Frau, die er missbraucht hatte, ihn verriet. Nicht, dass es irgendetwas geändert hätte; die Vadastras waren als Kanonenfutter für meinen Blutkrieg bereits dem Untergang geweiht. Lass mich deutlicher werden: Die Gedanken deines Vaters waren für mich unlesbar. Genau wie die deinen.‹
›Die meinen, Herr?‹
›In der Tat, denn was im Blut sichtbar wird, zeigt sich auch im Fleisch. Du hast Dinus mentale Abläufe geerbt ... eure Gehirne sind sich sehr ähnlich, sodass deine Gedanken für mich ebenfalls vage und umschattet sind. Ich lese sie wie durch einen wabernden Nebel. Oh, ich könnte an sie auf direkterem Wege herankommen; sollen wir sagen, durch Kontakt, direkt mit dem Gehirn, das sie einschließt? Denn, wie du sicher weißt, haben meine Finger eine besondere Gabe. Aber nun gut, das würde vermutlich den Verlust eines guten Mannes bedeuten. Das ist ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann.‹
›Nein, mein Gebieter‹, bestätigte ich und ich gestehe, dass ich einen Schritt zurückwich. ›Nein, wirklich nicht, Herr!‹
Malinari gab nur ein ›ts, ts‹ von sich und schüttelte den Kopf. Dann wimmerte und zuckte er leicht, wie es manchmal seine Angewohnheit war, und sagte: ›Nein, nein! Hab keine Angst, Korath. Denn während der Rest meines Hauses voll ist von Männern und Kreaturen – Kreaturen mit Gehirnen, die Krach machen und brabbeln und in meinem Kopf herumschreien, selbst wenn alles sonst still ist! –, scheinst du so leer wie diese dunklen Stellen zwischen den Sternen zu sein. Oh ja, und deshalb mag ich dich.‹
Dann saßen wir in einer abgeschiedenen Kammer meines Herrn und hörten gemeinsam Musik – und ich tat mein Bestes, nicht zu denken ...
Er erzählte mir von seiner Herkunft.
Sein Vater war ein Wamphyri: Giorgas Malin, der selbst die geschicktesten Szgany aufspürte, indem er der Aura ihrer Angst folgte. Er war kein Mentalist als solcher – er las keine Gedanken –, aber er war empfänglich für Empfindungen und wusste, wann intelligente, ängstliche Wesen sich in der Nähe befanden. Er spürte das gedankliche Schaudern und Zittern seiner Beute, selbst wenn diese selbst stocksteif und mucksmäuschenstill war. Aus diesem Grunde fürchteten die Traveller der Sonnseite Malin mehr als jeden anderen Lord; denn obwohl sie die Gabe hatten, ihre Gedanken zu verschleiern, konnte er sie dennoch entdecken. Kurzum: Sein Talent war ähnlich dem seines Sohnes. Tatsächlich war es sogar der Ursprung von Malinaris Mentalismus.
Oder einer der Ursprünge. Denn natürlich hatte Malinari recht: Was im Blut sichtbar wird, zeigt sich auch im Fleisch, aber es gehören zwei dazu, einen Blutsohn zu zeugen, einen von einer Frau geborenen Vampir. Die Mutter des Hirns war eine Szgany-Heilerin, deren Hände ihr wichtigstes Werkzeug waren. Versteht ihr das Prinzip? Sie konnte Kranke und Fiebernde heilen, indem sie sie festhielt, sie streichelte und mit Schlafliedern und ihrer zarten Berührung besänftigte. Ah, ich weiß, dass es solche Geschöpfe auch in eurer Welt gibt ... Wunderheiler, ja. Und ich weiß auch, dass einige davon Quacksalber sind, hier und in meiner Welt ebenso. Aber Illula war eine wahre Heilerin.
Als Giorgas also eines Nachts auf der Sonnseite jagte, fand er Illula die Heilerin – die unverheiratet war, denn sie hatte ihr Leben ihrer Berufung geopfert – und er sah, dass sie schön war. Er hatte bereits von ihr gehört; die Wamphyri hatten ihre Spione auf der
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