Nachtgesang

immer verloren zu sein? Ihr habt mir noch nicht einmal gedankt, geschweige denn mir vergeben für das, was man aus mir gemacht hat!
    Dir gedankt? , fragte Harry mit einer hallenden Stimme, die immer noch sehr weit entfernt klang. Dir vergeben? Wie viele Frauen hast du vergewaltigt und vampirisiert, als dein Herr die Szgany auf der Sonnseite ›jagte‹? Wie viele gute Männer hast du mit deinem Kampfhandschuh oder mit bloßen Händen getötet?
    Arghhh! , schrie Korath. Ah, nein, er... erinnert mich nicht! , bat er. Das war nicht ich! Doch, schon, aber ich wurde dazu getrieben, diese Dinge zu tun. Ich wurde getrieben durch ... getrieben von meinem ... (Hier hielt er plötzlich abrupt inne und biss sich auf die Zunge.)
    ... von deinem Egel? beendete Harry den Satz für ihn. Deinem Egel, Korath? Dann sagte er zu Jake: Siehst du, was ich meine? Es gibt nichts Hinterhältigeres als einen Vampir, auch wenn er tot ist. Dieser hatte bereits einen Egel entwickelt und war bereit aufzusteigen. Und Malinari tat gut daran, ihn zu rekrutieren, denn er war offensichtlich von der richtigen Sorte.
    »Aber jetzt ist er tot «, antwortete Jake. »Und da er nicht mehr lebt, welches Unheil kann er noch anrichten?«
    Ich frage mich manchmal, ob du mir überhaupt zuhörst!, polterte Harry. Ich hoffe nur, dass du dich zumindest an ein bisschen was erinnerst, wenn du wieder wach bist.
    »Gott, wer will das schon«, bemerkte Jake, dann zitterte er und hielt sich selbst noch fester umschlungen. »Und wenn wir schon vom Wachsein reden – oder, wenn nicht vom Erwachen, dann zumindest davon, von hier wegzukommen – sind wir hier nicht endlich fertig?«
    Jake, seufzte Harry, versuch dir all das in deinen sturen Kopf einzuhämmern. Ich bin nicht sicher, ob ich zurückkommen werde. Ich kann vielleicht nicht zurückkommen. Also tätest du gut daran, all das Wissen anzunehmen, was ich dir beibringe, während ich da bin. Und was auch immer du sonst noch tust, erinnere dich daran, dass ich gesehen habe, wie sich deine blaue Lebenslinie mit der roten der Vampire gekreuzt hat. Also, ob du willst oder nicht, es wird so oder so passieren.
    Harrys Totenstimme, die jetzt noch weiter entfernt klang, war so aufrichtig, so drängend und angespannt, dass Jake nun endlich die Bedeutung der Worte dämmerte, woraufhin er resignierte und sich erkundigte: »Also ... was passiert als Nächstes?«
    Korath ist noch nicht fertig , antwortete Harry mit einer Art Seufzen – aber es war dieses Mal anders, denn es war ein Seufzen der Erleichterung, nicht der Frustration. Wir wissen immer noch nicht, wie er – wie sie – hierher kamen. Wir haben nur die halbe Geschichte gehört und wissen immer noch fast nichts über Vavara und Szwartz.
    Jake hätte ihm widersprechen können, denn er hatte etwas über Vavara und Szwartz erfahren – von Lardis Lidesci. Bevor er allerdings davon berichten konnte, mischte sich ein trotziger Korath ins Gespräch ein:
    Ihr werdet auch nicht viel über sie erfahren! Jedenfalls nicht von mir. Denn ihr seid undankbar und ich habe alles gesagt.
    Nicht alles und auch nicht genug , wies Harry ihn zurecht. Du kannst so viel poltern wie du willst, Korath, aber ich sage, dass du sprechen wirst.
    Oh, also bist du doch ein Nekromant? , erkundigte sich Korath mit sarkastischem Unterton. Wenn ja, so sollte ich vielleicht anmerken, dass ich weder lebendes noch totes Fleisch habe, das du mit Zangen oder einem Bügeleisen traktieren kannst.
    Das stimmt , antwortete Harry. Aber ich denke, ich könnte wohl den einen oder anderen Knochen finden und dieses Rohr reinigen, wenn ich ein Nekromant wäre. Aber das bin ich nicht und es ist auch nicht nötig. Denn du weißt so gut wie ich, dass du jetzt schon ganz klein mit Hut bist und wenn wir dich verlassen, wirst du sogar noch kleiner sein. Oder bedeutet unsere Gesellschaft dir nichts? In dem Fall müssen wir annehmen, dass dir die endlose Dunkelheit, dieses ewige Schweigen lieber ist und belassen es dabei. Und lassen dich hier zurück, für immer und ewig.
    Einen Moment lang schien es, dass Korath schluchzte, aber sehr leise. Schließlich antwortete er: Du bist kalt und grausam, Harry Keogh.
    Harry bemerkte: Ah, ich hatte gute Lehrmeister. Und sie waren auch Vampire. Also rede, solange du noch die Chance dazu hast, Korath, und während wir noch da sind, um dich anzuhören ...

KAPITEL EINUNDZWANZIG
    EINE DUNKLE LADY ... UND EIN NOCH DUNKLERER LORD
    »Nephran Malinaris Blutkriege, die vom Blutrausch vorangetrieben