Nachtgieger
etwas?“
Mandy schüttelte schockiert den Kopf: „Keine Ahnung, aber wir werden es herausfinden, darauf können Sie sich verlassen.“
Sie nahm Anlauf und schwang sich geschickt auf eine Querstrebe des Wasserrades, die sich in Höhe des abschüssigen, rutschigen Ufers befand, und kletterte zielstrebig auf das tote Mädchen zu. Oben auf dem Rad balancierend, ließ sie sich vorsichtig neben der Leiche nieder. Voller Mitleid, dann mit wachsendem Zorn, betrachtete sie die junge Frau. Sie hatte feine, ebenmäßige Gesichtszüge und war höchstens Mitte zwanzig. Mandy konnte auf den ersten Blick weder Verletzungen noch Blut entdecken. Dann fiel ihr Blick auf den Hals der Toten. Eine dünne rote Linie zeichnete sich auf dem schlanken Hals ab und führte auf der bleichen Haut unter den Haarsträhnen weiter.
„Sie hat eine Verletzung am Hals, als sei sie gewürgt worden“, rief sie ihrem Kollegen aufgeregt zu, der immer noch am Uferrand stand. Es reichte, wenn einer von ihnen sich auf eine waghalsige Klettertour begab. Mandy ging sehr behutsam vor, um keine Spuren zu zerstören.
Gerd Förster hingegen versuchte, das schaurige Szenario auf sich wirken zu lassen. Bei einem Tatort war der erste Eindruck immens wichtig, bevor das Team von der Spurensicherung hier jeden Stein umdrehte. Was er wahrnahm, war wie eine bizarre Inszenierung, die sicherlich etwas zu bedeuten hatte. Eine Art Botschaft.
Ein Wagen näherte sich und stoppte neben dem Rettungswagen. Kieselsteine spritzten in die Luft. Ein elegant gekleideter Mann Mitte vierzig sprang aus dem Fahrzeug und lief auf Gerd Förster zu. Während er ihm die Hand schüttelte, rief er munter: „Guten Morgen, Gerd, du hast hoffentlich einen guten Grund, mich von meinen ofenfrischen Croissants wegzuholen.“
Der Rechtsmediziner Karl-Heinz von Hohenfels, von den Kollegen aufgrund seiner Vorliebe für edle Kleidung liebevoll Carlo Colucci genannt, ebenso Gourmet und leidenschaftlicher Tennisspieler, lächelte ihn an. „Wo ist denn nun eure Leiche?“
Heute trug er einen braunen Anzug, ein mittelblaues Hemd und eine dazu passende, diagonal blau-kamelfarben gestreifte Seidenkrawatte. Die schicken, braunen Lederschuhe standen auf der feuchten, lehmigen Erde. Er runzelte missbilligend die Stirn.
Gerd Förster zeigte mit dem Kopf Richtung Wasserrad. Jetzt erst nahm der Rechtsmediziner Mandy Förster war, die immer noch neben der Leiche hockte.
Schlagartig vergaß Karl-Heinz von Hohenfels seine verschmutzten Schuhe und näherte sich entschlossen dem Wasserrad.
Er wandte sich bestürzt an den Kommissar: „Das hätte ich nie für möglich gehalten, dass ich es hier in der beschaulichen ,Fränkischen‘ mit einer derart spektakulär exponierten Leiche zu tun bekomme. Ich werde jetzt zu Mandy auf das Wasserrad steigen und die Leiche des armen Mädchens kurz untersuchen. Dann schaffen wir sie in das gerichtsmedizinische Institut.“
Sie konnten die Leiche hier nicht länger liegenlassen und zur Schau stellen – es kamen immer mehr sensationsgierige Leute. Karl-Heinz von Hohenfels und Gerd Förster blickten besorgt auf die Menge der Neugierigen, die sich rasch vergrößerte. Die Polizisten forderten sie in moderatem Ton auf weiterzugehen, doch die Menschen wichen lediglich ein Stück zurück, um dann weiter fassungslos auf den Leichnam des jungen Mädchens zu starren.
„Einverstanden“, murmelte der Kommissar.
Der Rechtsmediziner folgte Mandy geschickt auf das Wasserrad und untersuchte vorsichtig die junge Frau. Mandy machte ihn auf das rote Mal an ihrem Hals aufmerksam. Er nickte grimmig und betastete es behutsam mit seinen behandschuhten Händen.
„Sie könnte mit einer Art feiner Schlinge erdrosselt worden sein“, informierte er die Kommissarin, „auf jeden Fall ist sie schon einige Stunden tot. Das hier ist sicherlich nicht der Tatort. Sie wurde an einem anderen Ort ermordet und dann hierher gebracht und auf dem Wasserrad platziert. Aber Näheres nach der pathologischen Untersuchung. Ich lasse sie abtransportieren, dann kann die Spurensicherung weiter ihre Arbeit tun.“
Mandy nickte stumm. Die tote Frau wurde vorsichtig von ihren Fesseln befreit, vom Wasserrad abgenommen – kein leichtes Unterfangen! – und im schwarzen Leichensack nach Bamberg gebracht.
Gerd Förster und Mandy Bergmann begaben sich unter die neugierige Menschenmenge, fragten, ob einer von ihnen eine Beobachtung gemacht hatte und verteilten ihre Visitenkarten. Keiner hatte etwas Verdächtiges
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