Nachtgieger
heiklen Auftrag umsichtig, fürchtete sich aber vor den bevorstehenden Ereignissen. Sie hatte sowohl die Fotos von der Toten als auch den Schnappschuss von Kati Simmerlein gesehen.
Der Rechtsmediziner Karl-Heinz von Hohenfels war noch nicht dazu gekommen, die Leiche des Opfers zu untersuchen. Eine Messerstecherei im Bamberger Drogenmilieu mit Todesfolge in zwei Fällen hatte ihn bisher beschäftigt.
Er trug seinem Angestellten, einem wissbegierigen, talentierten jungen Mann, der aus Sri Lanka stammte, jedoch auf, die Leiche aufzubahren und so schön und ästhetisch wie möglich herzurichten. Wenn die starren Augen nicht gewesen wären, hätte man meinen können, die junge Frau schliefe.
Von Hohenfels versuchte, sich innerlich gegen das unvermeidliche Geschehen zu wappnen, das ihm nun bevorstand. Es schmerzte ihn jedes Mal mit einer Vehemenz, gegen die er sich nicht wehren konnte, wenn Angehörige eines Mordopfers mit der gnadenlosen, brutalen Realität konfrontiert wurden.
Sieglinde führte das Ehepaar Simmerlein in den kahlen Raum, in dem ihre über alles geliebte Tochter auf einer einfachen Pritsche lag, von der sie nie wieder aufstehen würde.
Marga Simmerlein warf einen Blick auf das tote Mädchen, dann brach sie lautlos zusammen. Alfons Simmerlein versuchte unbewusst, sie am Fallen zu hindern. Doch er war wie erstarrt, Tränen strömten über sein vom Schmerz verzerrtes Gesicht. Dann plötzlich brüllte er auf wie ein wildes, unbezähmbares Tier: „Kati, meine Katharina! Diese Bestie bringe ich um, das schwöre ich.“
Klarissa König fuhr gutgelaunt mit ihrem alten Jeep von der Arbeit nach Hause. Sie arbeitete in einer sozialen Beratungsstelle in Bamberg und freute sich nun auf ihren Feierabend. Es war ein milder, sonniger Herbsttag. Vielleicht würde sie noch eine Runde mit ihrem Mountainbike drehen, das war ein schöner Ausgleich für ihren Bürojob. In der Fränkischen Schweiz führten unzählige Fahrradwege durch die wunderschöne Landschaft.
Klarissa König war neununddreißig Jahre alt, mittelgroß und schlank. Unregelmäßig nahm sie auch an der Gymnastikstunde am Montagabend teil, die im Sportlerheim der kleinen Ortschaft stattfand, in die sie mit ihrem Mann Gregor vor einigen Jahren gezogen war. Sie hatten sich hier ein älteres Bauernhaus gekauft und dieses ideenreich und mit viel Eigenleistung renoviert.
Mit ihren grauen Augen, dem dunkelblonden, modisch geschnittenen halblangen Haar und den vollen Lippen war sie eine attraktive Frau.
Sie verließ den Frankenschnellweg über die Ausfahrt Forchheim-Süd und fuhr über Gosberg in Richtung des Dorfes, in dem sie wohnte. Ihr Blick fiel auf das Walberla, den trapezförmigen, stolzen Hausberg der Oberfranken mit seiner Walburgiskapelle. Die Abendsonne schien sanft auf seine Erhebungen und die Felsformationen. Jedes Mal freute sie sich über diesen malerischen Anblick.
Klarissa wollte noch rasch auf dem Heimweg bei der Brennerei Simmerlein halten und einen erlesenen Walnussschnaps für einen lieben Kollegen, der morgen seinen Geburtstag feierte, besorgen.
In der Fränkischen Schweiz stellten viele Bauern und Hobbybrenner ausgezeichnete Edelbrände und Liköre her, die sie direkt vertrieben. Sorgfältig ausgewählte, reife Früchte wie Birnen, Mirabellen, Kirschen oder Schlehen verliehen den Schnäpsen ihren einzigartigen Geschmack. Diese Tradition fand beim jährlichen Tag der Brennereien, bei dem interessierte Touristen in großer Anzahl in überdachten Pferdekutschen von einer Probierstation zur nächsten transportiert wurden, ihren Höhepunkt.
Klarissa sprang aus ihrem Wagen und klingelte an der Tür des alten, imposanten Fachwerkhauses. Doch nicht wie sonst öffneten Marga oder Alfons Simmerlein ihrer Kundschaft. Eine geraume Weile geschah gar nichts, dann öffnete sich langsam die schwere Tür einen Spalt breit und eine gebückte, alte Frau spähte heraus. Sie trug strenge schwarze Kleidung und schien geweint zu haben. Klarissa erkannte die Mutter von Alfons Simmerlein. Bevor sie etwas sagen konnte, flüsterte die Frau verzweifelt: „Unsere Kati ist tot, sie ist ermordet worden.“ Geschüttelt von heftigen Schluchzern, schloss sie die Tür.
Sieglinde Salome Silberhorn ließ sich erschöpft auf einen Stuhl fallen. Sie hatte sich, nachdem die Eltern der Toten die Leiche ihrer Tochter identifiziert hatten, ohne Mittagspause auf den Weg nach Ebermannstadt gemacht, um zusammen mit den dortigen Kollegen die Anwohner in der
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