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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Maria Dries
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streng auf, „ich könnte Sie sofort verhaften lassen.“
    Einer der Kerle sprang auf. Sieglinde wappnete sich und wich keinen Zentimeter zurück. Sie kramte verzweifelt in ihrem Kopf nach verschütteten Karatekenntnissen, die noch von der Polizeischule stammten.
    „Wir haben eine Meldung zu machen, die vielleicht wichtig ist, ehrlich, deshalb haben wir uns nämlich bemerkbar gemacht“, versicherte der Mann eifrig.
    „Was für eine Meldung?“, wollte Sieglinde barsch wissen.
    „Wir haben eine Entdeckung gemacht“, fuhr der Mann fort. „Womöglich hat sie etwas mit der Toten auf dem Wasserrad zu tun. Heute Morgen fehlten zwei lange Holzbohlen auf unserer Baustelle. Wir haben uns zuerst nichts weiter dabei gedacht. Auf Baustellen wird heutzutage so manches gestohlen. Doch heute Nachmittag haben wir die vermissten Bretter ein Stück flussabwärts im Gebüsch gefunden.“
    Sieglinde ließ sich den Fundort genau beschreiben. Sie hatte plötzlich das Gefühl, der Bericht der Bauarbeiter könnte wichtig sein. Sie griff zu ihrem Handy und informierte Gerd Förster und die Spurensicherung.
    „Die Kollegen werden bald da sein und sich um Ihren Fund kümmern, rühren Sie bitte nichts an.“ Dann nahm sie noch die Personalien der Arbeiter auf, verabschiedete sich nun etwas freundlicher und machte sich auf den Weg zu der nächsten Wohnung.
    Nach zwei Befragungen ohne jedes brauchbare Ergebnis drückte sie mutlos die letzte Klingel. Sie gehörte zu einem kleinen, geduckten, alleinstehenden Haus, das von einem weitläufigen Garten umgeben und eingezäunt war. Sofort erklang wütendes Gebell, dann summte der Türöffner. Sieglinde schob vorsichtig die grüne Gartentür auf. Ein wild gewordener, bissiger Köter hatte ihr heute Abend gerade noch gefehlt. Sie seufzte und blieb abwartend stehen.
    „Treten Sie ruhig näher, meine Liebe“, ertönte eine zarte Stimme von der Haustür her, die nun weit offen stand und aus der ein einladender Lichtstrahl drang. „Mein Hund Claudius ist gut erzogen, er tut Ihnen nichts.“ Das hatten schon viele Hundebesitzer behauptet.
    Sieglinde ging den gepflasterten Gartenweg entlang, der sich durch großzügig angelegte Blumenbeete mit bunt blühenden Spitzdahlien und farbenfrohen Gladiolen auf der linken Seite und Gemüsebeeten rechterhand schlängelte. Dahinter, an einer Holzschuppenwand, befanden sich grob gezimmerte Hasenställe, deren Vorderseite von einem feinen Maschendraht verschlossen war.
    Vor ihr im Türrahmen stand eine alte Dame, die Sieglinde herzlich und vertrauensselig entgegenlächelte. Sie war klein und dünn, ihren Kopf zierte eine frische Dauerwelle, deren winzige Löckchen grau-lila schimmerten, und sie trug ein elegantes altrosafarbenes Twinset. Die Frau stützte sich auf einen Stock mit goldenen Löwenköpfen und einem Griff aus Elfenbein. Neben ihr saß Claudius, der Sieglinde feindselig und wie von Tollwut gezeichnet fixierte. Ein Dobermann, du liebe Zeit. Sie sehnte sich nach ihrem Sofa und Kartoffelchips mit Zwiebel-Essig-Geschmack.
    „Kommen Sie herein, meine Liebe, ich habe Sie schon erwartet. Den Tee und das Gebäck habe ich am Kamin serviert, dort können Sie sich aufwärmen in dieser kalten Herbstnacht und ich erzähle Ihnen alles.“
    Die nette alte Dame – sie hatte sich als Lina Schobert vorgestellt – führte Sieglinde in ein behagliches Wohnzimmer. Frau Schobert deutete auf ein Biedermeiersofa: „Nehmen Sie doch bitte Platz, ich schenke Ihnen heißen Tee ein, und greifen Sie zu, das Gebäck habe ich selbst gemacht, ein altes fränkisches Rezept, Knieküchla. In Ebermannstadt ist Kirchweih, da ist es Brauch, diese Spezialität zu backen.“
    Sieglinde setzte sich und ließ dabei Claudius nicht aus den Augen. Sie versuchte, den Redeschwall ihrer Gastgeberin zu unterbrechen und fragte bemüht interessiert, bereits ein puderzuckerbestreutes Küchla in der Hand: „Was möchten Sie mir denn alles erzählen?“
    Frau Schobert sah die Polizistin erstaunt an: „Meine Beobachtungen zu dem Mordfall natürlich, so sagt man doch, nicht wahr? Ich habe den Mörder gesehen!“
    Sieglinde schnappte hörbar nach Luft und ließ das angebissene Gebäckstück auf den goldberandeten Porzellanteller sinken. „Sie haben tatsächlich den Mörder gesehen?“
    Die alte Dame nickte energisch, so dass ihre Löckchen wippten: „Natürlich habe ich ihn gesehen, meinen Sie, ich würde sonst Ihre kostbare Zeit in Anspruch nehmen? Die Polizei ist doch sehr beschäftigt. Ich habe

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