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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Maria Dries
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näheren Umgebung des Tatortes zu befragen. Sogenanntes Klinkenputzen.
    Beidseitig der Wiesent standen zwei Mehrfamilienhäuser mit jeweils vier Wohnungen und sieben Einfamilienhäuser. Sieglinde hatte an jeder Tür geklingelt, die Bewohner befragt und sich gewissenhaft Notizen gemacht. Drei Anrainer waren nicht zu Hause gewesen. Die musste sie sich noch vornehmen.
    Aber erst brauchte sie eine Pause. In der Nähe hatte sie eine Pizzeria entdeckt. Das war genau das richtige Lokal für eine ausgehungerte, gestresste Polizistin.
    Sie hatte einen kleinen Tisch am Fenster ausgewählt. Von dort aus konnte man auf das moosgrüne Wasser schauen. Der idyllische Ausblick interessierte Sieglinde jedoch überhaupt nicht. Ihre gesamte Aufmerksamkeit galt der umfangreichen Speisekarte, die sie nun studierte.
    Es waren nicht viele Gäste in dem gemütlichen Lokal, so dass angenehme Ruhe herrschte. Das war ihr nur recht. Nach den zahlreichen, anstrengenden Gesprächen dieses Nachmittages brummte ihr der Kopf. Ein kalorienarmer, gesunder Salat und ein Mineralwasser wären die richtige Entscheidung gewesen. Sieglinde plante schon seit längerer Zeit wieder einmal eine strenge Diät zu beginnen, begleitet von einem knallharten Sportprogramm.
    Sie war 1,56 Meter groß und übergewichtig. Sie verabscheute ihre runden, rosigen Wangen und ihr störrisches, mausbraunes Haar. Sie sehnte sich danach, schlank und durchtrainiert zu sein, so wie Mandy. Dann würde sie auch einen Freund finden, da war sie sich ganz sicher. Der muskulöse Fußballspieler aus Ortspitz, den sie bei jedem Heimspiel begeistert anfeuerte, wenn sie keinen Dienst schieben musste, hatte ihr nach dem Derby gestern Nachmittag gegen Weilersbach aufmunternd zugelächelt und schelmisch mit dem linken Auge gezwinkert. Mit dieser Mimik ähnelte er Robbie Williams noch mehr als sonst, fand Sieglinde und konnte sich nicht verbergen, wie hingerissen sie war.
    Immerhin ein Anfang, redete sie sich ein. Oder hatte er etwa doch die dürre Blondine gemeint, die schräg vor ihr lasziv am Spielfeldrand an der Brüstung lehnte, die mit der mageren Hühnerbrust? Mit ihrem üppigen Busen immerhin war Sieglinde sehr zufrieden.
    Gestern Abend, bequem auf ihrem kuscheligen Sofa liegend, hatte sie sich zum Anschauen ihrer Lieblingssoaps anstatt der obligatorischen Kartoffelchips einen Teller mit gesunden, kalorienarmen Gemüsesticks hergerichtet und lustlos darauf herumgekaut. Völlig genervt von dem Kaninchenfutter, verspeiste sie dann eine ganze Tafel Haselnussschokolade. Danach folgte ein mittelgroßes Glas mit sauren Gurken. So konnte das nicht weitergehen. Ab morgen würde sie ihren Verschönerungsplan konsequent in die Tat umsetzen. Aber jetzt brauchte sie dringend eine Stärkung. Schließlich erwartete der Kommissar Gerd Förster morgen früh einen ausführlichen Bericht über ihre Befragungen, den sie noch verfassen musste.
    Sieglinde bestellte ohne schlechtes Gewissen und voller Vorfreude eine große Pizza mit Salami und extra viel Peperoni, einen italienischen Salat und zum Nachtisch Tiramisu.
    Gestärkt von dem vorzüglichen Mahl und nachdem sie einen Cappuccino mit viel Zucker genossen hatte, machte sich Sieglinde erneut auf den Weg. Drei Haushalte hatte sie noch zu befragen.
    Ein wenig müde lief sie erneut den Weg am Fluss entlang und passierte eine Baustelle. Sieglinde vernahm fröhliches Gelächter und spähte angestrengt in die Dämmerung. Sie konnte vier Männer in Arbeitskleidung erkennen, die auf umgekippten Eimern um eine Feuerstelle saßen und Bier aus der Flasche tranken. Dann vernahm sie einen gellenden Pfiff und kurz darauf die muntere Aufforderung, sich dem Kreis anzuschließen. Sieglinde straffte entschlossen die Schultern und näherte sich zielstrebig der Feuerstelle. Sie war empört über diese plumpe Anmache und wollte den vier ungehobelten Handwerksburschen ordentlich die Meinung sagen. Schließlich war sie in offizieller, wichtiger Mission unterwegs.
    Als sie den Lichtschein des Feuers betrat, hielt ihr einer der Arbeiter eine bereits geöffnete Flasche Bier entgegen. Als er Sieglindes Polizeiuniform bemerkte, sank er mit geöffnetem Mund auf seinen Plastikeimer zurück. Sein Nachbar versuchte, die heikle Situation zu retten. „Schönen guten Abend, Frau Polizistin, wir haben nur Spaß gemacht, nichts für ungut.“
    „Frauen, die alleine in der Dämmerung unterwegs sind, zu belästigen, ist kein Spaß, das ist eine Straftat“, klärte Sieglinde die Bauarbeiter

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