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Nachtglut: Roman (German Edition)

Nachtglut: Roman (German Edition)

Titel: Nachtglut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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hatten damals entschieden, sie nicht in die Sonderschule für gehörlose Kinder zu schicken, sondern sie die öffentliche Schule von Blewer besuchen zu lassen – wo sie mit einer Dolmetscherin am normalen Unterricht teilgenommen hatte. Ezzy hatte gehört, sie sei blitzgescheit; ihr einziges Handicap sei die Gehörlosigkeit.
    Selber hatte er keinerlei Erfahrung mit Gehörlosen, außer
daß er sonntags dem Mann in der Baptistenkirche zuzusehen pflegte, der den Gottesdienst für die Gruppe Taubstummer, die aus verschiedenen protestantischen Gemeinden des Landkreises hier zusammenkamen, in die Gebärdensprache übertrug. Manchmal wurde die Predigt dadurch kurzweiliger.
    Soweit er es beurteilen konnte, waren Gehörlose Menschen wie alle anderen, und darum verstand er nicht, wieso er jetzt so verlegen hier in Anna Corbetts Haus herumstand. Hatte sein Unbehagen nun mit der Situation oder der Behinderung der jungen Frau zu tun?
    Vielleicht lag es tatsächlich an der Situation. Im allgemeinen nämlich übernahm Cora soziale Pflichten dieser Art. Er hatte unzählige Male dabei geholfen, auf dem Highway Blutspuren vom Asphalt zu kratzen und die sterblichen Überreste eines Henry oder einer Suzy – eines Menschen, der von anderen geliebt worden war – in einen Leichensack zu befördern. Anschließend verständigte er die Angehörigen. Damit war die Sache für ihn erledigt – wenn der amtlichen Pflicht Genüge getan war. Um das Weitere kümmerte sich Cora. Sie war für die menschlichen Beziehungen zuständig, sie ging mit bei den Trauerzügen.
    Bei der Nachricht von Delrays Tod heute morgen hatte sie gefragt: »Waren viele Leute bei der Beerdigung?«
    »Ich war nicht dort.«
    »Wieso nicht? Hast du wenigstens was vorbeigebracht?«
    »Was vorbeigebracht?« wiederholte er verständnislos.
    Er hatte Delray Corbetts Tod nur erwähnt, um das eisige Schweigen zwischen ihnen zu brechen. Damit hatte er einen Vorwand, sie anzurufen. Aber in Wirklichkeit hatte er nur ihre Stimme hören und sie, falls das Barometer günstig gestanden wäre, bitten wollen, wieder nach Hause zu kommen. Sie hatte die Gelegenheit, über etwas anderes als ihre Trennung zu sprechen, sofort ergriffen.
    »Ojemine, Ezzy, da mußt du was vorbeibringen.«
    »Aber Delray war doch kein enger Freund von uns, Cora. Nicht mal ein guter Bekannter.«
    »Immerhin haben wir ihn praktisch unser Leben lang gekannt. Und jetzt muß das arme Ding ihren Sohn ganz allein großziehen. Ich bezweifle, daß jemand ihr beisteht. Das haben diese bösen Gerüchte über sie und Delray sicher verhindert. Manche Frauen, und oft gerade so Betschwestern vornherum, können hintenrum bodenlos gemein sein.«
    »Was für Gerüchte?«
    »Meine Güte, Ezzy! Hast du eigentlich jemals weit genug über den Rand deiner McCorkle-Akte rausgeschaut, um zu sehen, was um dich herum vorgeht?«
    »Vielleicht hab ich’s gehört und nur vergessen. Ich achte im allgemeinen nicht auf Klatsch«, entgegnete er und versuchte, einen Hauch von selbstgerechter Tugendhaftigkeit in seine Stimme zu legen.
    »Also wirklich!« Cora seufzte abgrundtief. »Seit Jahren reden die Leute darüber.«
    »Daß die beiden…?«
    »Genau. Daß sich nach Deans Tod die Beziehung zwischen den beiden geändert hätte und enger geworden wäre, als sich gehört. Aber ich bin der Meinung, das geht niemanden was an. Ob sie nun mit ihm geschlafen hat oder nicht – sie hat ihn verloren. Du mußt was vorbeibringen.«
    Ezzy konnte es nicht fassen. Delray Corbett und seine Schwiegertochter? Sie sollten nicht nur unter demselben Dach gelebt, sondern auch unter derselben Decke geschlafen haben? War Delray denn zu Leidenschaft überhaupt fähig gewesen? Vermochte ein so kalter und unzugänglicher, so strenger und rigider Mann wie er überhaupt romantische Liebe zu empfinden?
    »Also, ehrlich, ich kann mir nicht vorstellen, daß Delray jemals seinen Panzer abgelegt hat, geschweige denn zu einer Frau ins Bett gehüpft ist.«
    »Willst du mich provozieren, Ezzy?«
    »Nein.« Ja.
    Ein weiterer gequälter Seufzer. »Die vorgekochten Sachen für Beerdigungen liegen rechts in der Tiefkühltruhe.«
    »Die was?«
    Er hatte keine Ahnung gehabt, daß Cora auf jegliche Katastrophen, die über Freunde oder Nachbarn hereinbrechen konnten, so gut vorbereitet war. Nachdem sie aufgelegt hatten  – ohne daß Versöhnung zur Sprache kam –, hatte er die Gefriertruhe inspiziert und auf der rechten Seite tatsächlich mehrere ordentlich verpackte, fertige

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