Nachtglut: Roman (German Edition)
Angestellter in der Kreditabteilung dieser Kleinstadtbank endgültig versauern.
Da sie zu den wenigen Banken gehörte, die noch Familienbetriebe waren, wären seine Aussichten auf ein Vorwärtskommen gleich null. Der Direktor hatte zwei Söhne, beide so humorlos wie er. Sture Prinzipienreiter. Keiner von ihnen mochte ihn besonders. Sie konnten ihn jederzeit feuern.
Fazit: Er mußte dieses Geschäft mit EastPark über die Bühne bringen, das hieß Corbett überreden, seine Ranch zu verkaufen. Aber alle Anläufe waren bisher steckengeblieben. Der Alte zeigte sich nicht bereit, darüber zu reden, geschweige denn zuzuhören.
Er brauchte einen neuen Angriffsplan. Ja. Etwas Kühnes.
Kühn! Ein tolles Wort. Wenn die Leute später drüber redeten – und Emory war sicher, daß sie das tun würden –, würden sie sagen: »Da wär nie was draus geworden, wenn Lomax nicht diesen kühnen Schachzug gewagt hätte. Der hat sich was getraut.«
Geistesabwesend starrte er durch das getönte Glas und wünschte sich Inspiration.
Aber statt großer Visionen sah er nur einen klapprigen alten Pick-up, der langsam die Main Street hinunterfuhr.
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E r schien ja auch in Ordnung zu sein«, sagte Delray am Telefon. »Aber heutzutage kann man nicht vorsichtig genug sein.«
»Besonders in Ihrer Situation, Mr. Corbett. Ich meine, jetzt wo …«
»Ich weiß, was Sie meinen«, unterbrach Delray schroff.
Der Mann am anderen Ende der Leitung merkte wohl, daß er ins Fettnäpfchen getreten war, denn er ergänzte hastig: »Vergessen Sie nicht, daß ich das nur aus Gefälligkeit für Sie getan habe. Solche Detektivarbeit ist eigentlich nicht die Spezialität meiner Firma.«
»Ja, das weiß ich.«
»Ich würde vorschlagen, ich schicke ihnen einen unserer bewaffneten Wächter raus. Nur bis diese – äh – Geschichte vorbei ist.«
»Nein, danke!« Delray ließ keine Zweifel an seiner Entscheidung. »Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Hilfe, zumal solche Nachforschungen also eigentlich nicht Ihre Spezialität sind! Aber mehr brauche ich nicht. Wiedersehen.«
Mit zornrotem Gesicht legte er auf. Er hatte den Inhaber eines ortsansässigen Sicherheitsunternehmens, Sohn eines inzwischen verstorbenen Freundes, mit dem er früher regelmäßig Domino gespielt hatte, gebeten, Jack Sawyer zu überprüfen.
Das war alles. Aber so wenig wie alle anderen in der Gegend hatte der Junge es lassen können, sogleich die Verbindung zu Carl Herbold herzustellen.
Er holte mehrmals tief Atem, um sich zu beruhigen. Die
Bemerkungen des Burschen waren keinen erhöhten Blutdruck wert. Deshalb redete er sich gut zu und konzentrierte sich auf die angenehmen Nachrichten. Der Bericht über Sawyer klang tadellos.
Bei der Sicherheitsfirma hatte man seinen Namen, seine Sozialversicherungsnummer, die Daten seines Führerscheins und das Kennzeichen seines Wagens in den Computer eingegeben. Der Mann hatte sich in seinem bisherigen Leben nichts zuschulden kommen lassen: kein Offenbarungseid, keine Schulden, keine ungedeckten Schecks. Er schuldete keinen Kindesunterhalt, war nicht vorbestraft. Nicht einmal ein Verkehrsdelikt hatte sich gezeigt.
Während Delray sich diese Fakten durch den Kopf gehen ließ, trat er zum Wohnzimmerfenster und sah in den Hof hinaus. Sawyer hatte David versprochen, an einem der großen Pekanbäume eine Schaukel für ihn anzubringen. Gestern war er in den Ort gefahren, um zu besorgen, was er dafür brauchte. Am Abend, nach der Arbeit, in seiner Freizeit, hatte er das Brett für den Sitz zugeschnitten, geschliffen und lackiert. Die Kette hatte er im Geräteschuppen entdeckt und Delray gefragt, ob er sie verwenden dürfe.
Jetzt war er dabei, die Kette auf die richtige Länge zu bringen, damit der Junge bequem auf die Schaukel klettern konnte. David sprang aufgeregt um ihn herum und plapperte noch wilder drauflos als sonst.
Natürlich war Delray froh über die Gewißheit, daß er keinen Kriminellen oder Penner angeheuert hatte. Es sprach für seine Menschenkenntnis, daß der Bericht über Sawyer nichts Nachteiliges erbracht hatte.
Wieso war er dann irgendwie enttäuscht? Hatte er insgeheim zu hören gehofft, daß Davids neuer Held ein Gauner war, daß er vom FBI, vom Finanzamt und diversen anderen staatlichen Behörden gesucht wurde? Hatte er auf einen triftigen Vorwand gehofft, Sawyer doch weiterzuschicken?
Auf der einen Seite würde ihm das schon jetzt sehr
schwerfallen. Selbst nach nur drei Tagen würde er den Verlust spüren. Es war
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