Nachtjaeger
feiern können. Du musst doch nicht arbeiten?«
Filet Mignon, dachte Jenna. Der Himmel auf einem Teller.
Sie dachte voll Bedauern an das Steak, das sie an diesem Nachmittag an der Kasse zurückgelassen hatte. Nur ein T-Bone-Steak war besser. Oder ein kurz gegrilltes Bürgermeisterstück. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Sie hatte noch nie begriffen, wie man Vegetarier sein konnte.
»Du weißt doch, dass ich einem Filet nie widerstehen kann.« Sie beugte sich nach vorn, um ihre langen Haare in das Handtuch zu wickeln, das sie dann einmal drehte. Sie richtete sich wieder auf. »Was gibt es in New York?«
Mrs. Colfax lächelte sie verschmitzt an und zwinkerte ihr dann zu. »Ach, nur einen gewissen Gentleman. Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest, meine Liebe.«
Jenna erwiderte das Lächeln. Sie war zufrieden. Zumindest in dieser Hinsicht schien alles beim Alten zu bleiben, selbst wenn sich sonst alles so merkwürdig veränderte.
Es klingelte an der Tür. Mrs. Colfax drehte sich um und warf einen Blick durch die Badezimmertür auf die Terrasse hinaus, die nur sechs Meter entfernt war. »Ah! Das Filet!« Klappernd verließ sie das Bad auf ihren hohen Absätzen, und Jenna schloss die Tür hinter ihr, sodass sie sich in Ruhe abtrocknen und anziehen konnte. Zwei Minuten später wurde sie gerufen.
»Komm schon, Prinzessin. Wir wollen nicht, dass es kalt wird.«
Jenna kam aus dem Bad und setzte sich an den Tisch, wo Mrs. Colfax das Filet zusammen mit perfekt gegartem Spargel und einem Berg Kartoffelbrei mit Knoblauch für sie aufgetischt hatte. Sie warf die leeren Behälter auf die Granittheke hinter dem Esstisch und setzte sich. Nachdem sie zwei weitere Gläser mit Champagner gefüllt hatte, hob sie eines davon, um Jenna zuzuprosten.
»Auf meine lieben Freundin Jenna, die so tragisch allein, grauenvoll überarbeitet und schrecklich unterbezahlt ist. Sie verdient wirklich mehr vom Leben als das, was sie hat.« Damit legte sie den Kopf zurück und trank den Champagner in einem langen Zug aus. Dann stellte sie das Glas mit einer eleganten Geste ihrer schlanken, langgliedrigen Hand auf den Tisch.
Jenna starrte sie an.
Mrs. Colfax zog eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen hoch. »Was ist los, meine Liebe?«
»Das soll mein Geburtstagstoast sein? Ernsthaft?«
»Oh, je. Da hat einiges gefehlt, nicht wahr?«, erwiderte sie völlig ungerührt. »Soll ich es noch einmal versuchen?« Sie schnitt ihr Filet, nahm einen kleinen Bissen in den Mund und kaute, während sie Jenna ansah, als ob sie darauf warten würde, dass diese sie unterhielt.
»Du bist unmöglich«, sagte Jenna und lachte. Sie füllte Mrs. Colfax’ Glas und nahm dann ihr eigenes in die Hand.
Mit einem Anflug von Traurigkeit dachte sie an ihre Mutter und den Wunsch, auf den diese jedes Jahr an Jennas Geburtstag angestoßen hatte. Sie hob ihr Glas und schluckte den Frosch hinunter, der plötzlich in ihrem Hals war. Der ist für dich, Mom.
»Das Leben ist eine Qual, und jeder stirbt, aber wahre Liebe lebt ewig.«
Mrs. Colfax schürzte die Lippen. »Oh. Wie aufbauend. Und bitte sag jetzt nicht, dass du diesen Quatsch glaubst, meine Liebe. Die Idee wahrer Liebe ist eine der größten Selbsttäuschungen, die sich das weibliche Geschlecht jemals ausgedacht hat. Sie ist genauso lächerlich wie die Behauptung, Geld könne kein Glück kaufen und Größe wäre unwichtig. Jetzt iss dein Fleisch. Und behaupte bitte nicht, dass es zu lange gebraten ist. Ich bin mir sicher, dass sie es genau so gemacht haben, wie du es magst: blutig.«
Stunden später – nach dem Essen und dem Abwasch war Mrs. Colfax in ihrer Villa verschwunden – lag Jenna im Bett und starrte zu den Schatten hinauf, die über die Decke wanderten. Sie dachte an Liebe und Tod und Selbsttäuschung – und an zwei grüne, leuchtende Augen.
Mit diesem Bild vor Augen schlief sie ein.
4
Jenna hatte seit der Kindheit immer wieder den gleichen Traum. Obwohl die Einzelheiten manchmal variierten, wachte sie jedes Mal mit dem gleichen Glücksgefühl auf. Sie rannte durch einen uralten Wald, sprang über Baumstämme und moosbewachsene Steine, flog durch die Luft und glaubte, vom Morgennebel wie von seidigen Haarsträhnen umspielt zu werden. Sie konnte sich diesen Momenten völlig hingeben. Während sie lief, stieg der Duft von Moos und grünen Blättern wie Parfüm in ihre Nase, und sie hatte das Gefühl, als ob der Waldboden nur aus weicher Muttererde bestünde.
Diesmal war der Traum aber
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