Nachtjaeger
angesammelt, und das Schild war ein wenig angeschimmelt – beides Anzeichen für eine korrekte Lagerung.
»Jetzt. Bitte«, flüsterte er. Das Licht an der Decke ließ ihn noch bleicher erscheinen.
»Was ist los?«, fragte Jenna.
Es war Tiffany, die antwortete. »Er ist nicht wütend. Er will seinen Wein. Und du bist die Sommelière.«
Jenna sah Geoffrey fragend an. »Geoffrey?«
Er nickte ruckartig.
»Ich bin also nicht gefeuert?«
Wieder bewegte sich sein Kopf seltsam abgehackt – diesmal von einer Seite zur anderen. Nein.
»Warum nicht?«
Er holte so scharf Luft, dass sie einen Moment lang befürchtete, seine Lungen würden reißen. »Bitte, Jenna – mach es einfach. Wir reden später. Bitte«, flehte er und deutete sogar eine seltsam, kleine Verbeugung an. »Lass ihn nicht noch länger warten.« Er schwenkte die Flasche vor ihrer Nase hin und her, als ob er sie dadurch anlocken wollte. Der Wein schwappte hin und her.
Jenna streckte die Hand aus und nahm vorsichtig die Flasche aus seinen schweißigen Fingern. »Pass auf! Wenn der Satz nach oben kommt, ist der Wein nicht mehr klar …«
»Mein Gott, Frau! Jetzt geh schon!«, fuhr er sie voll Ungeduld an. Jenna hielt inne. Ihr wurde auf einmal klar, dass sich das Blatt plötzlich gewendet hatte. Sie hielt jetzt die Fäden in der Hand. Es war nicht schwer zu erraten, wem sie das zu verdanken hatte.
»Geoffrey«, sagte sie und blickte ihn scharf an. Er schlug die Hände vors Gesicht und hob sie dann panisch über den Kopf – ein stummes, verzweifeltes »Was denn?«
»Geh mir aus dem Weg.«
Er drehte sich um und packte Tiffany am Arm, ehe er sich einen Weg durch die Menge der sichtbar enttäuschten Zuschauer bahnte. »Wieder an die Arbeit, ihr dégueulasses animaux , ehe ich euch allesamt rausschmeiße!«, fauchte er.
Jenna betrachtete die Flasche Latour in ihrer Hand. Er möchte, dass du sie ihm servierst …
Wenn Sie das wollen, kriegen Sie das auch, dachte sie grimmig. Aber passen Sie auf, was Sie sich wünschen, Earl McLoughlin.
Sie richtete sich auf, hob das Kinn und marschierte aus ihrem Büro durch die Küche, den Latour in den Armen wie ein Kind.
Ohne einen Blick zurückzuwerfen, trat Jenna durch die Schwingtüren.
6
Leander beobachtete, wie sie auf ihn zukam – fasziniert und bewundernd.
Es war nicht ihre Figur, ihr wiegender Gang oder ihre königliche Haltung, die entschlossene Art, wie sie den Kopf hielt. Es war auch nicht ihre elfenbeinfarbene Haut, die Linie ihres Kiefers oder die Mähne aus goldenen Locken, die ihr über die Schulter fiel, was sie so anders wirken ließ und jeden Mann in ihrer Nähe dazu brachte, sie bewundernd zu betrachten.
Es war vielmehr die Tatsache, dass sie wie eine Flamme leuchtete, wie ein makelloser Diamant zwischen all den Klumpen glanzloser Kohle.
Während sie anmutig durch die Schwingtüren der Küche trat und an den Tischen des Restaurants vorbei auf ihn zukam – schlank, schön und groß –, strahlte sie heller und weiter als die Sonne am Mittag. Sie brachte die Luft um sie herum wie eine Fackel zum Knistern.
Als sie an der Bar vorbeikam, hob sie den Arm mit der Eleganz eines Schwans, um im Vorübergehen ein Bordeaux-Glas mitzunehmen.
Das Erbe der Ikati war deutlich in ihrer Gestalt zu erkennen – in den sinnlichen Linien ihres Körpers, in der Art und Weise, wie sie einem Panther auf der Jagd gleich durch einen Wald zu gleiten schien. Sie war flink, geschmeidig, herrlich.
Ihre Schönheit brachte seine Haut zum Prickeln.
Doch es waren vor allem diese Augen, mysteriös, klar und unvergesslich, die ihn anzogen. Sie sahen so aus, als ob Jenna etwas verbergen, ein Geheimnis bewachen würde. Nach außen hin gab sie sich spröde und frech, voller Selbstsicherheit, Ruhe und Kraft. Aber ihr Blick wirkte seltsam verwundet. Selbst, als sie sich über ihn lustig gemacht und ihn als lächerlich bezeichnet hatte, hatte es diese Unergründlichkeit gegeben.
»Ich nehme an, dass ich Ihnen sowohl eine Entschuldigung als auch Dank schulde«, sagte Jenna höflich, die Augen auf die Flasche Latour gerichtet, die sie ihm präsentierte.
Ihre Stimme, ruhig und melodiös, ließ ihn erschaudern. Er war froh, dass ihn die Rückenlehne der Lederbank stützte und mit dem Hier und Jetzt zu verbinden schien. Bewusst zwang er sich dazu, seinen Körper zu entspannen und gelassen zu atmen.
»Sie haben sich bereits entschuldigt, und ein Dank ist nicht nötig.« Leander strich mit dem Daumen über die feine Staubschicht
Weitere Kostenlose Bücher