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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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Geschmack nach gerösteter Vanille besaß mehr Finesse als bei Wein, der in Tronçais-Eiche herangereift war.
    Die Vollkommenheit dieses Kunstwerks, das Herrlichste, was die Natur zu bieten hatte, gesammelt in einer Flasche, berührte ihn immer wieder aufs Neue.
    Sein Vater hatte einen erlesenen Geschmack gehabt. Der ’61er Latour war möglicherweise ein Beweis für die Existenz Gottes.
    Er spürte, wie sich Jenna neben ihm bewegte, hörte deutlich das Rascheln ihres Seidenkleids auf dem Leder und ihrer bloßen Haut, während er ihr das Glas reichte, ohne die Augen zu öffnen. Sie nahm es entgegen.
    »Was ich Sie fragen wollte«, sagte er leise. Er öffnete die Augen, um ihr direkt in das blasse Gesicht zu blicken, das nicht mehr lächelte. »Was schmecken Sie?«
    Es hatte ihn überrascht, dass sie als Sommelière arbeitete. Aber es hatte ihm auch Hoffnung gegeben. Eine solche Stelle hatte niemand, dessen Sinne nicht scharf waren. Es war ein Hinweis, eine Möglichkeit …
    Sie runzelte die Stirn, und ihre fein geschwungenen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Soll das eine Art Test sein?«
    Du hast keine Ahnung, dachte er. Aber er schüttelte nur den Kopf und blickte sie weiterhin an.
    Ihre Zunge fuhr kurz über die Lippen, sie schluckte, dann atmete sie tief durch die Nase aus. »Danach beantworten Sie aber meine Fragen.« Trotzig hob sie das Kinn.
    Jetzt erlaubte er sich ein leichtes Lächeln und nickte.
    Sie führte das Glas an die Nase und roch.
    Jetzt sah er es. Er sah, wie es sie überkam, wie sie ihre Sinne öffnete, um den Duft in sich aufzunehmen. Ihre Augen schlossen sich, ihre Lippen öffneten sich leicht. Sie hielt den Atem an und erstarrte. Jeder ihrer Sinne, jede Faser, jeder Nerv ihres Körpers konzentrierte sich vollkommen auf den Wein vor ihr.
    Eine Ikati, flüsterte das Tier in ihm und begann sich aufzubäumen. Es war wie eine Erkenntnis, die sich einer heißen Welle gleich in ihm ausbreitete. Sie ist eine Ikati. Wie ich.
    Sie nahm einen Schluck Wein, wobei sie die Flüssigkeit langsam über ihre Zunge laufen ließ. Dann hielt sie für einen langen Moment inne, ehe sie schluckte.
    »Oh«, sagte sie und gab einen überraschten Laut von sich. »Oh Gott.«
    »Das kann man wohl sagen«, murmelte er. Instinktiv lehnte er sich vor und nahm dabei den weiblichen Duft ihrer Haut wahr. Fasziniert beobachtete er, wie sich ihre Wangen, ihr Hals und dann ihr Dekolleté röteten.
    »Ich habe niemals … Es ist so …«
    Wieder schluckte sie und sah ihn dann an. Ihr ganzes Gesicht drückte ihr Staunen und ihre Begeisterung aus. Jegliche Vorsicht war verschwunden, sie war nicht mehr zurückhaltend und auch nicht mehr melancholisch. Stattdessen strahlte sie nun Verwunderung, Freude, Überschwang aus. Leidenschaft.
    Plötzlich fiel es ihm schwer zu atmen. Er hatte das Gefühl, als ob sich ein Band aus Stahl um seine Brust schlingen würde.
    »Der Wein ist großartig«, flüsterte sie. »Nach all den Jahren … Nach dieser ganzen Zeit sollte er eigentlich schwächer sein. Er sollte …« Blinzelnd schüttelte sie den Kopf. »Aber er ist vollkommen.«
    »Ja«, murmelte er, während er insgeheim bewunderte, wie das Kerzenlicht ihre Haare noch mehr nach Bernstein und Honig aussehen ließ. Sie hatte einen Teil hochgesteckt, und ließ den anderen herabhängen, sodass sie beinahe aussah, als ob sie gerade aus einem warmen Bett aufgestanden wäre. »Das ist er. Er hat gerade seinen Höhepunkt erreicht, würde ich sagen. Vielleicht stecken noch zehn Jahre in ihm.«
    Sie stellte das Glas mit einer exakten Bewegung auf den Tisch und schob es ihm zu. »Danke«, sagte sie leise. »Das war unglaublich. Und sehr …« Sie zögerte und schluckte, ehe sie den Blick hob, um ihn anzusehen. »Sehr nicht-erbärmlich.« Die Andeutung eines Lächelns huschte über ihre Lippen.
    Ohne den Blick von ihr abzuwenden, griff er nach dem Glas und legte seine Finger über die ihren. Ihre Haut berührte sich kaum, und doch glaubte er, ein Knistern zu spüren.
    »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.« Seine Stimme klang so ruhig wie zuvor, wenn auch etwas ernster, ja beinahe angespannt. »Was haben Sie herausgeschmeckt?«
    Sie hielt sich ganz ruhig, während das Lächeln von ihrem Gesicht verschwand und sie ihn musterte. Er spürte plötzlich eine Hitze und ein Ziehen in seinen Lenden. Beinahe vermochte er den Impuls nicht zu unterdrücken, seine Hände in ihren Haaren zu vergraben und sie an sich zu ziehen.
    »Schwarze Johannisbeere«,

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