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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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sie sich fragte, wo sie wohl einen neuen Job finden konnte. Leanders leise Stimme rief sie zurück.
    »Warten Sie, Jenna. Bitte.«
    Er hatte sich erhoben und wollte schon fast auf sie zugehen, ehe er plötzlich innehielt. Seine Hand war nach ihr ausgestreckt, und sein Gesicht wurde durch eine kleine Palme neben seinem Tisch in Schatten getaucht. Dennoch konnte sie erkennen, dass seine Augen beunruhigt wirkten. Sie blickte zu ihm auf. Seine Größe und seine plötzliche Nähe überraschten sie. Er sah sie aufmerksam an, die Hand noch immer nach ihrem Arm ausgestreckt. Der berauschende und auf unheimliche Weise vertraute Geruch nach Gewürzen, nächtlicher Luft und Männlichkeit umfing sie und stieg ihr in die Nase.
    »Der ’61er Latour war der Lieblingswein meines Vaters«, sagte Leander leise. Seine Augen schimmerten im gedämpften Licht wie polierte Edelsteine. »Er ließ ihn auf seiner Hochzeit mit meiner Mutter servieren. Vor fünfunddreißig Jahren.«
    Er holte Luft und strich mit den Fingerspitzen über ihren nackten Arm – eine Berührung, die sie wie ein Stromschlag durchfuhr. »Beide kamen vor drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Wenn ich diesen Wein auf einer Weinkarte entdecke, bestelle ich ihn in Erinnerung an die beiden.«
    Jenna wusste einen Moment lang nicht, was sie sagen sollte. Sie spürte die Finger auf ihrer Haut und die Spannung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte – ebenso wie die neugierigen Augen der anderen im Restaurant.
    »Oh … Ich … Es tut mir … Es tut mir so leid …«, stammelte sie und errötete. Seine Finger übten noch immer einen leichten Druck auf ihren Arm aus, sodass es ihr schwerfiel, sich zu konzentrieren. Ohne es zu wollen, platzte es aus ihr heraus: »Meine Eltern sind auch beide tot.«
    Jenna hatte seit Jahren mit niemandem darüber gesprochen.
    Seine Erwiderung war schlicht. »Ja«, murmelte er.
    Dann glaubte sie, in die Untiefen seiner smaragdgrünen Augen zu stürzen, wie ein Schwimmer, der gegen eine plötzliche Strömung ankämpfte und doch untergehen wollte. Ein seltsames Gefühl von Déjà-vu durchlief sie, so klar und eindringlich, wie sie es noch nie erlebt hatte.
    Ja, hallte es in ihrem Inneren wider. Ja.
    »Kennen wir uns?«, flüsterte sie ungewollt. »Haben wir uns irgendwo schon einmal gesehen?«
    Er blieb ruhig stehen und schien sich auf einmal gar nicht mehr zu bewegen – als ob er aus einer anderen Welt kommen würde, wie aus Stein gemeißelt, wie ein Stück Marmor mit funkelnden Augen.
    Er erhöhte ganz leicht den Druck auf ihrem Arm, ohne zu antworten.
    »Sie waren das auf dem Parkplatz auf dem Supermarkt, nicht wahr? Dort habe ich Sie gesehen … oder nicht?«, fuhr sie atemlos fort. Ihr Herz schlug immer schneller, während sie ihn nicht aus den Augen ließ.
    Seine Brust schien sich noch mehr anzuspannen. Er öffnete leicht die Lippen und starrte sie an, die Miene voll Leidenschaft. »Wir … Ich …«
    Doch bevor er etwas sagen konnte, brach eine Frau an einem Tisch in der Nähe in ein lautes, unbändiges Gelächter aus, und der Augenblick war vorbei.
    »Wir haben uns noch nie zuvor gesehen«, erwiderte er leise und nahm die Hand von ihrem Arm. Dann wandte er sich ab, trat einen Schritt zurück und setzte sich wieder an seinen Tisch.
    »Aber …«
    »Wenn Sie nichts dagegen haben … Es wäre nett … Ich hätte dann gern den Latour«, sagte er höflich und blickte auf den Tisch vor sich. Er stützte sich mit den Unterarmen auf der Tischplatte ab und lehnte sich vor, um den Teller genauer in Augenschein zu nehmen. Seine schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht und verbargen seine Miene. Er blickte nicht mehr auf.
    Jenna lief vom Hals bis zu den Ohren leuchtend rot an. Idiotin.
    »Natürlich«, murmelte sie steif. »Ich bringe Ihnen den Wein.«
    Sie zwang sich dazu, so ruhig wie möglich Richtung Bar zu gehen, die Augen vor sich auf den Boden gerichtet, und all jene Blicke zu ignorieren, die ihr fragend durch das Restaurant folgten. Ihre Beine fühlten sich beinahe schmerzhaft steif an.
    Ohne es so recht zu merken, betrat sie die Küche. Sie kam erst wieder zu sich, als Geoffrey auf sie zueilte und sie aus ihrem zombiehaften Zustand riss.
    »Du bist gefeuert!«, kreischte er. Seine blauen Venen pulsierten, während er kaum an sich halten konnte.
    »Geoffrey …«
    »Ich wusste, dass wir keine Frau als Sommelier anstellen sollten. Ich wusste es! Viel zu emotional, viel zu unberechenbar, viel zu unprofessionell.«
    Jenna zuckte zusammen

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