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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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und wischte ein paar Tropfen Speichel von ihrer Wange. Geoffrey begann mit rudernden Armen vor ihr hin und her zu laufen. »Wir sind ruiniert, das weißt du, oder?« Er wirbelte herum und fuchtelte mit den Händen vor Jennas Gesicht durch die Luft. »Ruiniert! Was glaubst du wohl, was passiert, wenn er das dem Besitzer erzählt? Man wird mich für dein grauenvolles Theater verantwortlich machen! Und erst die Presse!« Er erstarrte und wurde so weiß wie ein Laken. Seine kleinen Augen traten weit aus den Höhlen, bis Jenna befürchtete, dass sie tatsächlich herausfallen könnten.
    »Die Presse«, flüsterte er aschfahl. Er hob voll Verzweiflung die Hände. »Wenn die Presse davon erfährt, dass du Seine Heiligkeit einen Schwanz …«
    »Ich habe ihn nicht …«
    »Geoffrey!«
    Eine weitere Angestellte – eine vollbusige Brünette in einem eng anliegenden schwarzen Kleid mit einem tiefen Ausschnitt – eilte durch die schwingenden Stahltüren in die Küche und sah sich dort panisch um. Sie keuchte beinahe vor Aufregung. »Geoffrey!«
    »Um Gottes Willen, Tiffany. Ich bin hier! Was ist denn los?«, fauchte er sie empört an.
    »Der Earl«, stammelte sie und zeigte über die Schulter ins Restaurant hinüber. »Er möchte dich sehen.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und eilte auf ihren platingoldenen Jimmy-Choo-Pumps wieder hinaus.
    Geoffrey wandte sich erneut an Jenna und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Deine Zeit bei Mélisse ist hiermit vorbei. Verlass sofort mein Restaurant«, zischte er.
    Noch ehe sie etwas erwidern konnte, war Geoffrey wie ein wütender Poltergeist durch die Tür ins Restaurant geeilt. Er hinterließ lediglich einen metallischen Geruch von Zorn.
    Jenna holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. Sie sah sich in der Küche mit ihrem schwarz-weiß gefliesten Boden, dem riesigen, begehbaren Kühlschrank, dem Edelstahl-Spülbecken und der steten Geschäftigkeit um. Im Stillen verabschiedete sich von allem. Sie musste nur noch ihre Jacke und ihre Handtasche holen. Die Unterlagen und Akten in ihrem kleinen, fensterlosen Büro gehörten dem Restaurant.
    Sobald sie durch die Türe trat, würde es so sein, als ob sie die letzten zwei Jahre ihres Lebens nicht hier verbracht hätte. Es würde so sein, als hätte es sie hier nie gegeben.
    Benommen ging sie durch die Küche zu ihrem Büro im hinteren Teil des Hauses. Sie warf die Tür hinter sich ins Schloss, um das Kichern des Souschefs nicht mehr hören zu müssen, und nahm ihre Handtasche von dem Stuhl, auf dem sie gelandet war, ehe sie mit der Arbeit begonnen hatte.
    Sie sah sich ein letztes Mal um. Die Form des Raums, die Bücherregale an einer Wand, das Zeugnis einer Meister-Sommelière, das gerahmt über ihrem Schreibtisch hing. Der Gedanke, dass sie zumindest diese Auszeichnung, die sie durch ihre harte Arbeit und Talent erworben hatte, mitnehmen konnte, half ihr auch nicht weiter. Sie glaubte kaum, dass sie nach einem Rauswurf aus dem Mélisse noch irgendwo in der Stadt unterkommen würde. Vermutlich würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als in einem der Striptease-Klubs in der Nähe des Flughafens hinter der Bar zu arbeiten.
    Ein heftiges Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken. Sie drehte sich um.
    »Jenna!«
    Es war Geoffrey. Vermutlich wollte er jetzt noch ihren Kopf auf einem Tablett servieren.
    »Noch eine Minute, Geoffrey! Ich hole nur meine …«
    Die Tür wurde aufgestoßen. Geoffrey und Tiffany standen auf der Schwelle, und hinter ihnen versammelte sich das ganze Küchenpersonal. Alle starrten sie derart feindselig an, dass sie glaubte, man wollte sie tatsächlich lynchen.
    Unsicher trat sie einen Schritt zurück und stieß dabei gegen ihren Stuhl. Dieser rollte gegen den Schreibtisch und blieb dort stehen. Es herrschte auf einmal eine seltsame Stille. Nur das leise Brutzeln von Zwiebeln, die unbeobachtet auf dem Herd mit den sechs Gasflammen standen, war zu hören.
    Geoffrey hielt eine Flasche Wein in der Hand. Er hob sie hoch, um sie Jenna zu reichen. Auf seiner bleichen, wulstigen Stirn standen Schweißperlen.
    »Der Latour«, krächzte er heiser, und seine Hände zitterten ein wenig. »Er möchte, dass du ihn servierst.«
    Jennas Blick schoss zwischen Geoffrey und Tiffany hin und her, die beide so starr und blass wie Puppen aussahen. Keiner gab einen Laut von sich.
    Geoffrey schluckte. Er hielt die Flasche so, als ob es sich um ein Heiligtum handelte. Auf dem Glas hatte sich eine dicke Schicht Staub

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