Nachtjaeger
sie ebenso leise. Sie senkte den Blick, als Leander ihr blitzschnell den Kopf zuwandte. Er starrte sie über die Schulter hinweg mit Augen an, die vor Zorn beinahe schwarz waren.
Einen langen Moment spürte Morgan das Brennen seines Blicks auf ihrem Gesicht. Wenn er nicht so angespannt gewesen wäre, hätte sie diesen Blick direkt erwidert, aber er wirkte so, als ob er jeden Moment platzen würde. Und das machte ihn sehr gefährlich.
Er wandte sich wieder der Küchenmagd zu. »Erzähl weiter, und zwar sofort«, knurrte er.
»Es war Blut auf dem Boden, Sir, in der Wäschekammer«, flüsterte sie verängstigt. »Blut, das durch die Küche, die hintere Treppe hinauf zu den Räumlichkeiten der Dame führte …«
Ehe sie zu Ende sprechen konnte, drängte sich Leander an ihr vorbei zur Tür.
»Leander! Warte!«, rief Morgan. Sie sprang auf und eilte durchs Zimmer, wobei sie sich größte Mühe geben musste, ihn einzuholen. Er befand sich bereits im Gang. Als sie ihn erreichte, wurde er jedoch nicht langsamer, sondern eilte mit steifen Beinen und versteinertem Gesicht den langen Korridor entlang zu der Treppe, die in den ersten Stock hinaufführte. Morgan musste beinahe im Laufschritt folgen.
»Wenn Jenna zurück und verletzt ist, wird sie sicher nicht dich sehen wollen.« Sie stellte sich vor ihn, als er gerade den Fuß auf die erste Stufe der Treppe setzte.
»Verdammt noch mal, Morgan …«
»Nein«, unterbrach sie ihn. Sie hielt ihn am Arm fest und funkelte ihn entschlossen an. »Nur dieses eine Mal musst du mir vertrauen. Ich gehe zuerst nach oben. Du kannst mir in ein paar Minuten folgen, wenn du willst. Aber glaub mir … dein Gesicht ist nicht das Erste, was sie hier sehen will. Nicht nach all dem, was bei deiner letzter Unterhaltung mit ihr gesagt wurde.«
»Aber wenn sie blutet, wenn sie verletzt ist …«
»Dann werde ich sofort kommen und dich holen.«
Morgan spürte durch den Stoff seines Hemds, wie er am ganzen Körper bebte. Die Anspannung ließ seine Muskeln hart werden, bereit, in Aktion zu treten. Er wirkte so nervös, dass sie befürchtete, er könnte sich unter ihrer Hand in einen Panther verwandeln und die Treppe hinaufjagen.
»Nur ein paar Minuten«, sagte Morgan sanfter. Ihr wurde klar, dass Leander fast jenseits aller Vernunft war. Seine Augen, die unwirklich grün funkelten, waren auf den oberen Treppenabsatz gerichtet, von wo aus man durch einen weiteren, langen Korridor zu Jennas Räumen gelangte. »Ich gehe zuerst hinein«, wiederholte sie. »Lass mich Jenna zuerst sehen. Du kannst direkt vor der Tür warten.«
Er zögerte. Sein Atem kam in kurzen Stößen, während er die Treppe hinaufsah. Als er schließlich antwortete, klang seine Stimme so harsch, als ob sie durch stille Schreie heiser geworden war. »Du hast eine Minute, ehe ich die Tür einschlage.«
Er drehte sich zu Morgan, und sie konnte sehen, wie schwer ihm selbst dieses kleine Zugeständnis fiel. »Eine Minute. Ich bleibe direkt hinter dir. Los.«
Er gab ihr einen Schubs nach vorne.
Morgan musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass er ihr folgte. Sie spürte ihn direkt hinter sich, mehr Tier als Mensch. Das Blut rauschte durch seine Adern, und sein Herz pochte wie wild.
16
Der Schnitt an ihrer Fußsohle war klein. Zumindest anfangs. Sie zog ihn sich zu, nachdem sie auf die papierdünne Kante eines zersplitterten Obsidian getreten war, der vor der Hütte gelegen hatte. Die Ränder des Schnitts waren sauber, und er reichte nicht tief. Es blutete mehr als es wehtat. Doch die Wirkung, die diese Verletzung nach sich zog, war höchst beängstigend.
Seit sie auf den Stein getreten war, war Jenna nicht mehr in der Lage, ihre Gestalt zu wandeln.
Sie versuchte es auf jede nur erdenkliche Weise, eine Verwandlung zu erzwingen. Zuvor war es wie zufällig geschehen, wenn sie sich aufregte, verängstigt war oder auch wenn sie nur daran dachte. Ein einziges Wort in ihrem Inneren reichte, und sie vermochte all den Dingen zu entkommen, die aus Leanders Mund kamen. Sie wurde zu Nebel.
Doch nun gab es nur ein Glühen, ein Flackern. Aber die Verwandlung trat nicht ein.
Sie hatte keinen Plan gehabt, als sie in den Wald geflohen war. Es war ihr nur darum gegangen, Leander zu entkommen. Die Hütte schien ein guter Ort zum Verweilen zu sein, während sie sich sammelte und überlegte, was sie als Nächstes machen sollte. Klares, kaltes Wasser plätscherte in einem kleinen Bach etwa zwanzig Schritte von dem Häuschen entfernt, es gab
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