Nachtjaeger
Worte unterstrich.
»Das Gesetz ist nötig, um uns vor der Vernichtung zu retten. Es ist der Anker, der uns im reißenden Fluss der Versuchung Halt gibt, in dem wir sonst untergehen würden. Wenn es nicht die Regeln und Gesetze gäbe, nach denen wir leben, würde man uns viel leichter finden, als man es jetzt schon tut. Wir hätten nicht einmal das erste Jahrtausend überlebt …«
»Das Gesetz bedeutet nichts anderes als Kontrolle und Unterdrückung – vor allem für Frauen. Wenn Jenna auch nur annähernd so klug ist, wie sie zu sein scheint, wird sie alles daransetzen, aus diesem goldenen Käfig zu fliehen …«
»Ob sie es will oder nicht – das hier ist ihr Zuhause, hierher gehört sie …«
Die riesige Holztür am anderen Ende der Bibliothek wurde mit einem solchen Schwung aufgestoßen, dass sie gegen die Wand knallte. Zwei von Leanders Wachen traten mit einem Küchenmädchen, das sie festhielten, ein.
»Vergebt uns, Mylords.« Einer der Männer verbeugte sich, ehe er sich hastig wieder aufrichtete und auf das Mädchen neben ihm wies. Der andere Wächter hielt sie an ihrem Arm fest und schien nicht vorzuhaben, sie loszulassen.
»Wir hielten es für das Beste, wenn Sie gleich davon erfahren.«
»Was ist los?« Leander sprang auf und eilte auf die drei zu. Den Rücken hielt er wie immer kerzengerade. »Hast du etwas gesehen? Hast du etwas gefunden? Jetzt sag schon, Mädchen!«
Der Wächter gab dem Küchenmädchen einen leichten Stoß mit dem Ellenbogen und wies mit dem Kopf in Leanders Richtung.
Das Mädchen machte einen Knicks und kaute nervös auf ihrer Unterlippe.
»Ich war in der Küche, Mylord«, begann sie so ängstlich wie eine Maus. Strähnen ihres braunen Haares fielen ihr in die Augen. Sie hatte den Blick zu Boden gerichtet. Ihre kleinen Hände strichen nervös über ihre gestreifte Schürze, ehe sie zitternd die Finger faltete. Sie räusperte sich.
»Ich habe wie jeden Dienstag das Silber geputzt.« Sie zerknüllte die Schürze in ihrer Faust und vermochte vor Nervosität kaum aufrecht stehen zu bleiben. »Es ist ein wunderschönes Silberservice, Mylord. Dazwischen befinden sich winzige Rosen und Rebenranken und kleine Vögel. Ich liebe es, das Silber zu putzen. Es ist wirklich sehr …«
»Verstehe«, sagte Leander. Das Wort fiel wie ein Block aus Zement zu Boden.
Das Küchenmädchen riss vor Schreck der Mund auf. Sie sah ihn bleich und verängstigt an.
»Es ist tatsächlich ein sehr hübsches Service. Es freut mich zu hören, dass du gerne damit arbeitest.« Er blickte auf sie hinab, seine rechte Hand öffnete und schloss sich wie von selbst.
Das Küchenmädchen machte den Mund auf, doch es kam kein Wort heraus.
»Aber vielleicht könntest du uns – wenn möglich rasch – genau erzählen, was du gesehen hast.«
»Nur … Nur das Blut, Sir«, stotterte sie.
Christian sprang mit einer raschen, seltsam steif wirkenden Bewegung von seinem Stuhl auf. Er blieb dabei völlig lautlos. Morgan warf ihm einen Blick zu und sah, dass er regungslos dastand und die Augen starr auf das Mädchen gerichtet hatte.
»Das Blut?«, wiederholte Leander entsetzt. »Wovon um Himmels willen sprichst du? Welches Blut?«
»Kleine Spritzer auf dem Steinboden, Mylord. Ich habe mich hinuntergebeugt, um einen neuen Polierlappen aus einem kleinen Eimer zu holen, den wir in den Schränken neben der Wäsche aufbewahren. Dort ist es sehr ordentlich und sehr sauber, Sir. Die Köchin achtet darauf, dass die Küche und die Wäsche immer perfekt sind. Dort ist es so organisiert wie bei der Armee, Sir. Alles steht immer auf seinem Platz. Man findet immer, wonach man sucht, ob das jetzt Polierlappen oder Handtücher oder Töpfe sind, mit denen das Essen gekocht wird …
»Das BLUT !«, brüllte Christian, der rot angelaufen war. »Was ist mit dem BLUT ?«
Der Wächter hielt das Küchenmädchen noch immer am Arm fest, was ihr Glück war, denn sie erschrak so sehr, dass ihr rundes Gesicht kreidebleich wurde und sie beinahe das Gleichgewicht verlor.
»Christian!«, schnappte Leander. »Es reicht!«
Christian stieß mit dem Absatz seines Stiefels den Stuhl weg, drängte sich an dem Mädchen und den Wachen vorbei und stürmte laut fluchend in den Gang hinaus.
»Was zum Teufel ist in ihn gefahren?«, fragte der Viscount Morgan leise. Seine Finger hatten die zarte Kaffeetasse so fest umfasst, dass Morgan befürchtete, der Henkel würde jeden Moment abbrechen.
»Genau das Gleiche, was in Leander gefahren ist«, erwiderte
Weitere Kostenlose Bücher